Musikhochschule Köln
Musikpädagogik
Sommersemester 2008
PS: Musikalische Umweltverschmutzung?
Dozent: Klaus Riedel
Thema des Referats: Kreativität
Referentin: Juliane Kreutz
1. Begriff:
- Kreativität ist nach Hentig ein allgegenwärtiges „Heilswort“ in der gegenwärtigen Epoche
- Kommt aus dem Englischen „creativity“ (geprägt durch J. Guilford in den 1950er Jahren)
- Kreativitätsforschung ab 1957 (Guilford), motiviert durch das Militär, Forderung einer Alternative zu den gängigen Intelligenztest, die emotionale und schöpferische Qualitäten nicht mitberücksichtigt haben.
- „Schöpferische Begabung“ oder „Schöpferisch sein“ als Umschreibung für kreatives Denken und Handeln
- ursprünglich wurde Kreativität, auch der Wortbedeutung nach, vom lateinischen „creare“ abgeleitet. Kreativität also ausschließlich im schöpferischen Sinne und beschränkt auf die Schöpfung durch Gott
2. Definition von Kreativität:
Eine allgemeingültige Definition für den Begriff Kreativität zu finden ist ein beinah hoffnungsloses Unterfangen, es gibt eine Menge von unterschiedlichen Definitionen, je nachdem aus welchem Blickwinkel der Wissenschaft Kreativität betrachtet wird.
Hier drei Versuche der Definition:
Nach U. Rauchfleisch (im Hinblick auf musikalische Kreativität)
„Ein Gefüge intellektueller und nicht-intellektueller Persönlichkeitszüge, die als Grundlage für produktive, originale, schöpferische Leistungen angesehen werden.“
Nach Karl-Heinz Bordbeck:
„Kreativität ist die Hervorbringung von etwas Neuem, das auf irgendeine Weise wertvoll ist.“
Nach dem Brockhaus (1996, 476):
„Kreativität, als schöpferisches Vermögen, das sich im menschlichen Handeln oder Denken realisiert und einerseits durch Neuartigkeit oder Originalität gekennzeichnet ist, andererseits aber auch einen sinnvollen und erkennbaren Bezug zur Lösung technischer, menschlicher oder sozialpolitischer Probleme aufweist.“
Nach Sellnow:
Kreativer Prozess im Drei-Schritt:
3. Erkenntnisse der Gehirnforschung:
- menschliche Gehirn besteht aus zwei Hälften: jeweils unterschiedliche Funktionszentren und Assoziationsfelder lokalisiert
- beide Hälften sind durch einen Balken (Corpus callosum) verbunden
- das Nervensystem des restlichen Körpers ist überkreuz mit dem Gehirn verbunden; deshalb: rechte Hemisphäre- linke Körperhälfte, linke Hemisphäre-rechte Körperhälfte
- dennoch sind beide Hemisphären an hoch entwickelten kognitiven Prozessen beteiligt, jede Seite hat dabei ihre speziell Art/Funktion der Informationsverarbeitung
- auf der linke Hemisphäre sind u.a. verortet: Logik, Abstraktion, Analyse, Rationalität, Linearität, Digitales Denken, Verbale Kommunikation, Gedächtnis für Wörter und Sprachen
- auf der rechten Hemisphäre: Emotionen, Konkretisierung, Analoges Denken, Musik, Rhythmus, Tanz, Gedächtnis für Personen, Sachen und Erlebnisse, Improvisation etc.
- einseitige Betonung der linken H. blockiert den Zugang zur rechten H. und anders herum
- in der Schule wird mehr die linke Hemisphäre geschult
4. Kreativitäts-hemmende Faktoren
Externe kreativitäts-hemmende Faktoren:
- systematische Blockierung durch Art der Erziehung, und Erfahrungen in Beruf, Ausbildung
- externe Sach- und Fachszwänge (sog. „Killerphrasen“ legen nahe, was z.B. Schon aus Prinzip nicht geht („Halte dich an die Regeln“, „Bloß keine Fehler machen“, „Das haben wir ja noch nie so gemacht“).)
- Selbstverständlichkeit: verhindert das Hinterfragen von bestimmten Vorgängen
- intransparente/vage Ziel- und Anforderungsstruktur
- fehlender personeller/sozialer Einbezug
- Beeinflussung der Kreativität durch die Gesellschaft und durch das Vorherrschen bestimmter Weltanschauungen
- zu viel Stress blockiert die freie Assoziation
Interne kreativitäts-hemmende Faktoren:
z.B. ausgelöst durch Stress
- Pessimismus: ständiges Vorhersehen der eigenen Niederlage
- Konformismus: Wunsch nach Übereinstimmung mit den Werten anderer
- Angst: verhindert bewusstes eigenständiges Handeln
- Vorurteile: klammern bestimmte Aspekte in der Lösungsfindung aus
- Routine: passt sich nicht veränderten Umständen an
5.
Kreativitätsfördernde Grundvoraussetzungen nach Schlicksupp:
„Wollen, können, dürfen“
6. Kann Kreativität gelehrt werden bzw. ist Kreativität
lernbar?
Auch in dieser Frage gibt es unterschiedliche Meinungen:
Hentig: Da „kreatives Denken in erster Linie befreites Denken- nicht gehemmt von Furcht oder Routine oder perfektem Vorbild- ist und damit verbundene Spontaneität nicht veranstaltet, methodisiert und eingeübt werden kann, lassen sich für kreatives Verhalten keine Handlungsanweisungen im Sinne von Rezepten geben.“
Edwards, geht davon aus, dass jeder durch den bewussten Einsatz der rechts hemisphärischen Eigenschaften zeichnen lernen kann.
Sellnow meint, dass das Erkennen und Übertreten von „geistigen Trampelpfaden“ trainiert werden kann.
7. Kreativität und Schule:
- Kreativität ist in dieser besondere Ausprägung nur beim Menschen zu finden
- Kreativität gilt mittlerweile als unverzichtbare Voraussetzung für das Finden neuer Lösungen und Wege
- Schule als Institution hat die Aufgabe, auch diese Fähigkeit zu fördern
Zitat: „Eine Schule, welche das Menschsein als urtümliche Einheit respektiert und in den Mittelpunkt stellt und darauf Bildung ausrichtet, duldet nicht nur Kreativität, sondern benötigt sie als bewegendes Element“ (Schröder)
Forderung eines kreativitätsfördernden Unterrichts:
- berücksichtigt die individuelle Lebenswelt der SuS
- Erhaltung der Neugier der SuS
- Begrüßt unkonventionelles/divergentes Denken
- Ganzheitlichkeit des kindlichen Seins beachten
- da Kreativität ein Wechselprozess zwischen Individuum und sozialer Umwelt ist, ist gerade bei zu lösenden Problemstellungen Gruppenarbeit gefordert
Gelingen der Gruppenarbeit, 2 Komponenten:
Die Lehrperson hat eine Vorbildfunktion inne, auch im Bereich Kreativitätsförderung.
Dennoch sind der schulischen Kreativitätsförderung Grenzen gesetzt, weil die Beeinflussung durch Faktoren, wie gesellschaftliche Vorstellungen..., nicht von der Lehrperson gelenkt werden können.
8. Bereich: musikalische Kreativität
Merkmale kreativer Werke (nach U.Rauchfleisch):
Neuheit/ Originalität:
Ein Moment/ ein Aspekt des Noch-nicht-Dagewesenen, dessen Ursprung im Wesen der/des Künstlerin/Künstlers verankert ist.
→ notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium
Strukturelle Schlüssigkeit:
Die einzelne Elemente sind „logisch miteinander“ verknüpft und ergeben ein fassbares, zusammenhängendes Ganzes.
Anschlussfähigkeit/Sinnhaftigkeit:
Das Neue muss sich in ein Sinnkontinuum einfügen, dh. Es muss auf anderes schon bestehendes bezogen sein.
Richtungspotential:
Im Sinne, dass Folgewerke auf dem Werk aufbauen können
„Nützlichkeit“:
Die Rezipienten des Werkes müssen in eine fruchtbare Auseinandersetzung treten können.
Ausstrahlung einer Leichtigkeit, Mühelosigkeit:
Die Anstrengung des Schaffensprozess geht nicht in die Eindrucksqualität ein.
Fazit: Ob eine bestimmte Leistung als kreativ angesehen wird, hängt vom kulturellen System ab (Siehe Systemmodell von Csikszentmihali). „Ein Werk wird also nicht aufgrund seiner objektiven Qualitäten als kreativ gewertet, sondern vor allem aufgrund der subjektiven Wirkung, die es auf Personen, die ihm ausgesetzt sind, ausübt.
„Musikalische Kreativität als das Konstrukt einer Interaktion zwischen produzierendem Musiker und Publikum.“ (Bullerjahn)
Merkmale kreativer Persönlichkeiten:
- Fähigkeit zum divergenten Denken: Flexibilität, Ideenreichtum, hohe geistige Beweglichkeit
- Nonkonformismus: Unabhängigkeit von herkömmlichen Denkweisen
- Handwerkliche Kompetenz und Fachwissen („Wollen, können, dürfen“)
- Umsicht, „Blick fürs Ganze“ (Domänenbezug, siehe Csikszentmihali)
- Kapazität, Wissensspeicherung
- Ambiguitätstoleranz: Fähigkeit, offene Probleme und sich widersprechende Problemlösungstendenzen auch für längere Zeit zu ertragen
- Geduld und Zielstrebigkeit
- Ausdrucksbedürfnis, Leidenschaftlichkeit
- Fähigkeit, kritische Distanz zum eigenen Werk aufbauen zu können
- Offenheit, Sensibilität
- Introversion
Musikhören als kreativer Prozess:
- Musikhören erfordert vom Rezipienten eine starke Eigenaktivität
- Formen des Musikhören stehen immer im Wechselprozess mit der Gesellschaft
- durch die zeitgenössische Musik und ihre Möglichkeiten der Konsumierung wird der Musikhörer immer mehr zum Mitgestalter
- der Hörer interpretiert („rezeptive Interpretation“) die konsumierte Musik
- die Musik durchläuft eine Fülle von Kanälen zwischen dem Komponisten und dem Hörer → es entsteht eine Vielzahl von Interpretationen
- Grundvoraussetzung für diesen Wechselprozess: Hörer nimmt die musikalische Erscheinung als Kunstwerk auf und ordnet sie ihn bestehende Vorstellungssysteme ein
Nach dieser Vorstellung würde also Musik, die nicht bewusst wahrgenommen und verarbeitet wird, also Hintergrundmusik bleibt, die Interaktion zwischen Komponist und Hörer stören. Die rezeptive Interpretation kann nicht stattfinden, da das Gehörte nicht in ein Vorstellungssystem eingeordnet wird.
These: Die musikalische Umweltverschmutzung verhindert eine kreative Auseinandersetzung mit der gehörten Musik.
9. Literatur:
Brodbeck, Karl-Heinz; Ist Kreativität erlernbar?, Graz, 1997; www.grauzelle.de/gz_erlernbar.html, Stand: 29.4.2008.
Bullerjahn, Claudia;„Kreativität“, in: Motte-Haber, Helga de la & Günther Rötter (2005), Musikpsychologie (= Handbuch der systematischen Musikwissenschaft Band 3), Laaber, 2005, S.600-619.
Putschky, Magrit; Scholles, Frank; Grundlagen der Kreativität; www.laum.uni-hannover.de/ilr/lehre/Ptm/Ptm_KreaGrdl.htm, Stand: 29.4.2008.
Rauchfleisch, Udo; Musik schöpfen, Musik hören: ein psychologischer Zugang, Göttingen, 1996.
Serve, Helmut J.; Kreativität- (k)ein Thema für die Schule?! Bedeutung, Möglichkeiten und Grenzen schulischer Kreativitätsförderung, in: Wittmann, Helmut; Zöpfl, Helmut; Hubert , Herbert; Seibert, Norbert; Kreativität in Schule und Gesellschaft, Donauwörth, 1994, S.100-142.