Donna Anna

aus der psychologischen Perspektive

 

Die Arie der Donna Anna aus der Oper „Don Giovanni“ handelt vordergründig von Rache, Schmerz, Leid und Angst. Diese Oper heißt eigentlich genauer „Il dissoluto punito ossia il Don Giovanni (Der bestrafte Wüstling oder Don Giovanni)“ KV 527 und wurde von Wolfgang Amadeus Mozart nach einem Libretto von Lorenzo Da Ponte vermutlich im März 1787 komponiert. Inwieweit Mozart seine „Finger im Spiel“ hatte bei der Erstellung des Librettos konnte nicht genau bestimmt werden. Man könnte aber vermuten, dass er stark beteiligt war, insbesondere bei der Ausarbeitung der weiblichen  Rollen. Denn schaut man sich die Arie der Donna Anna an, kann man tief in ihre Innenwelt hineinblicken. Dies lässt sich auf umfangreiche Überlegungen seitens Mozarts zurückführen.

 

Für eine tiefenpsychologische Vorgehensweise muss man sich den Handlungsverlauf noch einmal vor Augen führen. In der ersten Szene des ersten Aktes befinden sich Donna Anna und Don Giovanni im selben Raum. Dann muss man sich wie Walter Felsenstein die einfache Frage stellen: „Was geschah in Donna Annas Zimmer zwischen ihr und Don Giovanni?". Felsenstein glaubt, dass sich Donna Anna fast „an Giovannis Hals geworfen“ hätte, woraus aber folgen müsste, dass sie ihn lieben würde. Im Libretto steht geschrieben, dass Donna Anna um Hilfe schreien würde, was eher einer Vergewaltigung gleicht und weniger wie Liebe aussieht. Und tatsächlich trägt Don Giovanni bei seinem Vergewaltigungsversuch eine Maske, um nicht erkannt zu werden. Schließlich kommt der Komtur und kann sie noch vor Don Giovanni retten. Wie fühlt sich Donna Anna in genau diesem Moment? Eine äußerlich charakterstarke Frau (Avantgarde der Emanzipation?), die fast vergewaltigt wurde, dagegen sich nicht mit eigener Kraft retten konnte, ist natürlich in ihrer Würde verletzt. Es erfolgt nun einen inneren Selbstzweifel, in dem die Aufrechterhaltung der äußeren Erscheinung in Frage gestellt ist. Nun wird der Komtur in einem Duell mit Don Giovanni, der daraufhin sofort flüchtet, getötet. Sie möchte ihrem Vater zu Hilfe eilen, findet ihn aber nur tot vor, was sie beträchtlich schockiert. Nun wird sich wahrscheinlich ein Szenario der Angst in ihrem Kopf abspielen. Sie hat Angst, dass der Mörder ihres Vaters wiederkommt und eine nochmalige Vergewaltigung versuchen könnte, wobei dann der Vater nicht zu Gegen sein kann, um sie zu schützen. Sie hat Angst, weil sie nicht weiß, wie ihr zukünftiges Leben aussehen könnte, weil der Vater als moralische Instanz nicht mehr lebt. Und sie empfindet tiefsten Schmerz, weil sie ihren geliebten Vater verloren hat.

Nach dem Tod ihres Vaters ist sie stark benommen und nimmt ihre Umgebung nicht mehr deutlich wahr. Vermutlich spielen sich diese Denkprozesse in dieser Szene ab. Damit die angsterzeugenden Es-Impulse den psychischen Apparat nicht außer Kraft setzen, werden diese verdrängt oder sublimiert und in vom Über-Ich sowie von der Gesellschaft akzeptierte Rachegelüste umgewandelt.

In der Szene dreizehn, in der sie erschließt, dass Don Giovanni der Mörder ihres Vaters und ihr versuchter Vergewaltiger ist, kulminiert die Rache in der Gestalt Giovannis, dessen Vollstreckung vorläufig ihr neuer Lebensinhalt darstellt.

 

Dieses psychologische Bild ihrer Innenwelt lässt sich an der Arie Donna Annas belegen, welches den Gestus der zurückgehaltenen Gewalt hat. Diese Arie hat einen 4/4 Takt, hat die Bezeichnung „Andante“, was so viel wie „ruhig“ bedeutet und ist in D-Dur komponiert. Allein im ersten Takt ist der Gestus schon erkennbar, denn die Begleitung in piano besteht aus Tremoli und einer triolischen Aufwärtsbewegung. Die Verbindung von Tremoli und piano scheint nicht ganz zu passen, denn Tremoli sind sehr energiegeladen und eindringlich. Die Verknüpfung mit piano zeigt eine extreme Unruhe, ähnlich wie ein brodelnder Kessel, der zu überkochen droht, aber durch den Deckel daran gehindert wird. Die triolischen Läufe stellen die unterschwelligen aufkeimenden Triebenergien dar. Donna Annas Stimme beginnt mit einem Auftakt, was eine gewisse Progressivität besitzt. Dieses Motiv wird zweimal sequenziert, das in einer Climax mündet, was als Forderung von Giovannis Tod interpretierbar ist. Aber in der Begleitung taucht im zweiten Takt ein h-moll Akkord auf, der nur als durchbrechende Angst zu interpretieren ist. Im 4. Takt des 3.Systems wechselt Donna Anna das Motiv, wobei auch die Betonung von der ersten Zählzeit auf die zweite Zählzeit wechselt. Dieses Motiv wird wiederholt, was ihrer Aussage Nachdruck verleiht. Wahrscheinlich wird die Aussage Ähnlichkeiten mit der Aussage des ersten Motivs haben, weil beide Parallelen aufweisen. Sie sind beide auftaktisch und haben einen ähnlichen Rhythmus. Das Motiv endet auf dem hohen „A“, was bei einer guten Sopranistin aber nicht das absolute Maximum darstellt. Trotzdem ist das „A“, was nur in forte gesungen werden kann, eine hohe Triebentladung der Destrudo, das mit der Begleitung korrespondiert. Dort wird die Entladung mit einer Tirata dargestellt.

Weiterhin folgt ein „B“-Teil, in der sich die Begleitung stark vereinfacht. Aus den Tremoli sind „einfache“ 1/16 Akkorde geworden und im Bass schwingt kontinuierlich ein Orgelpunkt mit, was diesem Teil einen enormen Spannungsaufbau verleiht. Des Weiteren wechselt die Tonart vom harten Dur in ein weiches d-moll, was vermuten lässt, dass der Schmerz des Verlustes sowie die Angst bewusst geworden sind. Die Einfachheit zeigt ihre Demaskierung als starke Frau und offenbart ihre Gefühle. Die Spannung findet ihren Höhepunkt im 4. und 5.Takt des 4.Systems, wo durch den oktavierten Orgelpunkt und die einheitliche Punktierung in der Begleitung die Spannung noch mal erhöht wird, das dann in der Fermate endet. An dieser Stelle nimmt das „Es“ Überhand und Donna Anna singt einmalig ohne Begleitung, wodurch ihre Emotionen emphatisch werden. Danach setzt eine Wiederholung des „A“-Teils ein, womit auch die öffentliche Maske der starken Frau wieder aufgesetzt wird.

Erwähnenswert ist noch das Ende. Das Motiv der Melodie ist wiederholend und zeigt Donna Annas anscheinende Entschlossenheit. Schließlich wechselt die Begleitung unstet von forte zu piano, was auf eine nicht mehr ganz so gut funktionierendes „Ich“ schließen lässt.

Die zurückgehaltene Gewalt scheint sich ein Ventil zu suchen, wodurch sie sich ihren Druck verringern kann.

 

Von Zhim-xun Ho