Musik im Spiegelkabinett ihrer Zeit

 

 

Recherchen, Analysen, Interpretationen

zu

Komponisten der abendländischen Musik

 

     

 

 

von

 

Schülerinnen und Schülern des Leistungskurses Musik

Jahrgangsstufe 13 des Jahrgangs 1999/2000

unter der Leitung von Klaus Riedel

 

Sinan Mece, Susanne Herrmann, Jessica DeRooy,

Liza Chenderovitch, Maggi Minuzzi, Eva Maria Zuhmann,

Tatjana Morozova, Matthias Schottstädt, Martin Kraus

 

 

 

 

Köln, der 7. April 2000

 

 

 

 

 

Vorwort

 

 

von Klaus Riedel

 

 

Die hier abgedruckten Aufsätze sind geschrieben worden von Schülerinnen und Schülern des Leistungskurses Musik am Humboldt-Gymnasium Köln im November/Dezember 1999 in der Jahrgangsstufe 13. Zu Grunde liegt eine unterrichtliche Beschäftigung mit Musik unter musikhistorischen Fragestellungen: Was ist die Ursache für die enorme dynamische Entwicklung der abendländischen Musikkultur innerhalb des vergangenen halben Jahrtausends, vor allem wenn man sie mit anderen Musik-Kulturen der Welt vergleicht? Worin besteht die über Jahrhunderte dauernde kulturelle Identität, wenn man Dufay, Palestrina oder Monteverdi mit Schönberg, Webern oder Boulez und Stockhausen vergleicht? Was motiviert die Menschen, mit z.T. ungeheurer physischer und geistiger Energie musikalische Kunstwerke zu schaffen? Gibt es etwas Gemeinsames dieser Menschen, was sie antreibt, ausser der sogenannten musikalischen Begabung?

Was ist es, was ihre Musik zum Bestandteil unserer gegenwärtigen Kultur sein lässt, obwohl diese z.T. schon Jahrhunderte alt ist? Was suchen und finden wir in ihr?

Viele und schwierige Fragen! Alle Aspekte, die zur Antwortfindung einbezogen werden müssten, wie neben der musik-immanenten Geschichtsbetrachtungung der Einbezug von ökonomischen, politischen, sozialen, wissenschaftlichen, pschologischen und philosophischen Hintergründen, sind hier nicht zu bewältigen. Da hat es schon die Musikwissenschaft recht schwer. So schien es sinnvoll, Antworten auf die o.g. Fragen - zumindest zu einem Teil - mit Hilfe der Biographieforschung zu suchen, mit dem Vorteil eines weitgehenden Einbezugs der persönlichen Interessen und Neigungen der Schülerinnen und Schüler. Nicht so sehr die grossen Epochen interessierten, sondern der einzelne Mensch, sein Lebensgang, seine geistige und soziale Umwelt, seine Erfolge und Krisen, seine Stärken und Schwächen. Vor allem aber auch die These, daß die Musik eines Menschen das jeweils persönliche Profil in sich trägt und damit auch Spuren der jeweiligen Zeit, so wie es die Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht und Theodor Wiesengrund Adorno u.a. formuliert haben. Und nicht zuletzt: das eigene Interesse an der Person, seiner Musik, seiner Zeit.

 

Die einzelnen Aufsätze sind in einem mehrstufigen Prozess über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten entstanden. Zunächst sollte jeder Schüler sich sorgfältig einen Komponisten aussuchen, entweder aus Neigung, die in der eigenen musikalischen Praxis entstanden ist, aus Interesse, schon immer mal etwas über jemanden mehr zu erfahren zu wollen, oder weil man Zugang zu besonderem Material hat oder schon mal eine Biographie o.ä. gelesen hat. Gründliches Recherchieren war der zweite Schritt. Die Konzentration auf eine exemplarische Komposition mit einer intensiven analytischen und interpretatorischen Auseinandersetzung war der Folgende. Die Ergebnisse mussten nun zu einem dreißigminütigen Referat zusammengefaßt und für den Vortrag vorbereitet werden. Nach dem Vortrag gab es in der Regel ein Feedback durch die Kursmitglieder. In einer Klausur wurden die individuellen Forschungsergebnisse unter allgemeinen Gesichtspunkten schriftlich zusammengefaßt. Die korrigierten Klausuren wurden weiter verfeinert und schließlich schriftlich fixiert zu den hier abgedruckten Aufsätzen.

 

 

 

 

Der innere Konflikt 

Anton Bruckners Leben

und seine Sinfonik als Spiegel unserer Gedanken

 

 

von Martin Kraus

 

 

„Anton Bruckners Sinfonik ist ein Anachronismus, sie scheint weder in ihre Entstehungszeit noch in unser Jahrhundert wirklich zu passen“. Diesen Satz hört und liest man bei vielen Brucknerforschern und –rezipienten. Er stimmt jedoch nur bedingt. Richtig ist er (und so ist es wohl auch hauptsächlich gemeint), wenn man ihn auf Bruckners Kompositionstechnik anwendet, denn die hat keinen richtigen Vorgänger, aus denen sie sich entwickelt hat und auch keine Nachfolger, die Bruckners Kompositionsweise aufgegriffen und / oder weiter entwickelt hätten. So steht sie wirklich mehr oder weniger einzigartig in der Musikgeschichte da.

Falsch ist diese Aussage jedoch, wenn man glaubt, es sei unmöglich oder schwer, damals wie heute einen Zugang zu seiner Musik zu finden, sie zu verstehen und Identifikationspunkte zu finden.

Die Möglichkeit sich mit Bruckners Musik zu identifizieren, sich von ihr ansprechen zu lassen, ist meiner Meinung nach so groß wie bei allen anderen Komponisten. Trotzdem wurde Bruckner zeit seines Lebens oft mißverstanden und auch heute ist das noch manchmal so. Das erklärt sich wahrscheinlich daraus, dass Bruckners Leben und seine Musik von Konflikten und Gegensätzen geprägt ist.

 

Anton Bruckner wurde 1824 in Ansfelden in Österreich geboren. Und dieser kleine Ort entspricht genau den Klischeevorstellungen, die man einem oberösterreichischen Dorf des 19. Jahrhunderts zuordnen würde. Es ist klein, liegt auf dem Land, und Kontakt zur Stadt ist mehr oder weniger nicht gegeben, Das Leben der Leute wird von der täglichen Arbeit, dem katholischen Glauben und der festen Dorfgemeinschaft geprägt. In einem solchen Mikrokosmos wuchs also Anton Bruckner als Sohn eines Lehrers auf, und wie es damals Sitte war, wurde, wenn der Vater Lehrer war, auch der Sohn Lehrer. Aus diesem Grund erhielt Bruckner schon früh Musikunterricht, bei dem sich zwar eine große, aber keine übermäßige Begabung herausstellte. Außerdem trat Bruckner aufgrund seines Lebens in der Provinz in seiner gesamten Kindheit kaum in Kontakt mit der großen, weltlichen Musik seiner Zeit. Seine Musikkenntnisse beschränkten sich auf die Kirchenmusik, die man in einem solchen Ort kennenlernen konnte.

Als sein Vater starb, wurde er Sängerknabe am Stift St. Florian. Obwohl sich hier zeigte, wie groß Bruckners Musik –und speziell Orgelbegabung tatsächlich war, blieb er bei seinem Wunsch, Lehrer zu werden. So begann er im Jahr 1840 seine Lehrerausbildung am Lehrerseminar in Linz, während der sich sein Charakter herauskristallisierte, der im krassen Gegensatz zu seiner Musik stand. Denn Bruckner war in höchstem Maße skurril und labil. Er war naiv, überhaupt nicht konfliktfähig, ihm fehlte jedes Selbstbewußtsein, und damit einher ging eine Bereitschaft zur Unterwerfung unter scheinbar höhergestellte Personen, die bis ins Lächerliche führte.

Und damit sind wir bei einem Punkt angekommen, der für Bruckner und für unser heutiges Verstehen und Beschäftigung mit Bruckner von größter Bedeutung ist: Der Riß in seiner Persönlichkeit. Auf der einen Seite stand der überragende Musiker, auf der anderen der „komisch Kauz“. Dies ist der alles überlagernde Konflikt in Bruckners Leben, der für mich und uns heute, so wenig wir ihn auch nachvollziehen können, von größter Wichtigkeit ist, wenn wir die Leiden und auch die Musik dieses Mannes nachvollziehen wollen.

Doch noch zwei weitere Konflikte sind für uns heute sehr wichtig, wenn wir versuchen, Anton Bruckner und seine Musik zu verstehen und uns somit in ihm wiederzufinden. Denn diese Konflikte, diese Ambivalenzen, diese Gegensätze sind das, was für mich in Zusammenhang mit Bruckners Musik die Faszination dieser einzigartigen Gestalt der Musikgeschichte ausmacht.

Der eine Konflikt, auf den ich hier eingehen möchte, offenbart sich, als sich Bruckner (erst spät in seinem Leben) endlich entschlossen hat, doch Musiker zu werden. Er hat sich in Linz als

Domorganist einen gewissen Ruhm als Musiker, Theoretiker und auch Komponist erarbeitet und entschloß sich so 1868 in die Musikstadt Wien zu gehen und am Konservatorium Dozent für Musiktheorie und Orgel zu werden.

Doch der Landmensch Bruckner, der seine Kindheit in der Abgeschlossenheit und Geborgenheit eines kleinen Provinzörtchens verlebt hat, paßte nicht nach Wien. Er verstand die Stadt, die Menschen und auch ihre Mentalität nicht. Und Wien verstand Bruckner nicht. Der schrullige Musiker wirkte auf die Wiener zwangsläufig wie ein „Trottel“. Der Konflikt des „Provinzlers“ Bruckner mit der Weltstadt Wien wurde also zum zweitem großen Konflikt in Bruckners Leben. Und daraus resultierte auch der dritte Konflikt. Denn Bruckners Musik war anders als alles andere bisher Dagewesene. Dazu kam, dass das Wiener Musikleben in zwei Fronten verhärtet war: Die Brahms-  und die Wagner-Anhänger. Es ist verständlich, dass der wagnerhörige Bruckner, dem darüber hinaus jede Lebenstüchtigkeit für das Leben in einer Großstadt fehlte, hier völlig zwischen die Fronten geriet. Dazu kam noch das Mißverstehen der Wiener Öffentlichkeit und der damit verbundene Mißerfolg.

 

Doch das Beschäftigen mit dem Leiden und den Konflikten, die die Faszination an der Figur Bruckner ausmachen, ist meiner Meinung nach nicht nur aus rein historischen Gesichtspunkten wichtig. Man kann auch auf sich und seine eigene Situation Rückschlüsse ziehen. So wird einem in Bruckners Biographie vor Augen geführt, wohin festgefahrene Denkweisen führen können. Man beginnt sich Gedanken zu machen über die Problematiken von Klischeedenken und den Umgang mit Widerstand. So zeigt Bruckners Leben, welche gefährlichen Mechanismen im schlimmsten Fall durch gegenseitiges Mißverstehen in Kraft treten können.

Doch deutlicher wird das Konfliktproblem natürlich in der Musik, da diese den Hörer natürlich auf der Gefühlsebene viel direkter ansprechen kann, als jedes andere Medium. Vor allem Bruckners Musik bietet sich dazu geradezu an, zielt sie doch bewußt darauf, die Emotionen des Hörers anzusprechen. Vorteilhaft ist außerdem, dass Bruckner seine ganzes Leben an einem Sinfonietypus festgehalten hat. Durch diese Gleichheit aller Sinfonien bietet sich ein größerer Raum für eine ästhetische Identifikation beim Hörer, als bei den meisten Komponisten. So kann man, wenn man in der Lage ist, sich auf die Musik einzulassen, meiner Meinung nach in einer Brucknersinfonie jeden einzelnen Teil seines Wesens wiederfinden. Wichtig sind auch hierfür wieder die Konflikte die in der Musik enthalten sind.

 

Ein gutes Beispiel hierfür findet sich im Scherzo der 6. Sinfonie in A- Dur, die 1881 fertiggestellt wurde, einem Jahr, in dem sich Erfolg und Mißerfolg von Bruckners Schaffen deutlicher denn je gegenüberstanden. Dieses Scherzo hebt sich deutlich von anderen Scherzi Bruckners ab. Auf der Grundlage des für Bruckner charakteristischen Mediums, das hier tiefe, pochende Staccatonoten der Bässe sind, die direkt beim Hörer eine gewisse Nervosität und Unbehagen erzeugen, entwickelt sich nämlich nicht eine klares Scherzothema, sondern ein Wirrwarr kleiner Motive. Diese überlagern, steigern und verdichten sich, finden jedoch nur eine scheinbare Auflösung im ersten Höhepunkt, dem abwärtsgerichteten Blecheinsatz, der nicht in der Lage ist, die Energien des „Motivwirrwarrs“ zu bündeln und zu entladen. Hinzu kommt, dass Bruckner die Tonalität verschleiert, indem das tonale Zentrum ständig wechselt und auch die Rhythmik im Unklaren läßt. Hierbei greift er auch wieder auf den sogenannten „Bruckner – Rhythmus“ zurück, eine Verbindung von einer Triole mit zwei Vierteln, der in jeder seine Sinfonien vorkommt. In diesem Scherzo überlagern sich diese gegensätzlichen Rhythmen sogar, was ihren Kontrast noch erhöht.  

Die Konflikte, die dieser Musik innewohnen, spielen sich hier also nicht auf der Makro-  (Themen, Durchführung, Kraftkonzentration bzw. – abbau), sondern auf der Mikroebene ab (Gegensätzlichkeit des Rhythmus, Tonalitätwechsel, Unruhe etc.). Sie werden also nach innen verlagert. Dies stellt natürlich eine kaum zu übersehende Parallele zu dem inneren Konflikt Bruckners dar und bietet auch dem Hörer enorme Identifikationsmöglichkeiten. Der durch die kompositorischen Mittel bedingte spukhafte, skurrile und unbehagliche Charakter des Scherzo wirkt sich direkt auf die Emotionen des Hörers aus. Auf Grundlage der durch die Bässe bewirkten Nervosität und Unruhe breitet sich eine unbehagliche Stimmung aus. Sie erinnert an Wut, Verzweiflung, Ratlosigkeit, Nachdenklichkeit und die ständige Kraftkonzentration, die Crescendi und die Verdichtungen, die immer nur einen scheinbaren Abschluß finden, bringen einen in die Situation eines unruhig Suchenden, der doch das Ziel, den Ausweg nicht findet. Das Scherzo ist nicht greifbar. Damit erinnert es zwangsläufig an eigene Konflikte, innere Aufgewühltheit, Ratlosigkeit.

Jeder kennt solche Situationen, in denen die aufgestaute Energie immer größer wird. Und durch die Auseinandersetzung mit der Musik wird eine Auseinandersetzung mit den eigenen Konflikten bewirkt. Der Hörer kann sich also in der Musik wiederfinden und sich mit ihr identifizieren. Auch das Trio (etwa ab 2 min. 50 sek.), dass von Bruckner mit der Tempobezeichnung „Langsam“ versehen wurde und nach der bis dahin größten Ekstase beginnt, bestätigt dies. Die Musik scheint anfänglich zur Ruhe zu kommen und baut sich nach Pizzikato-Einleitung auf warmen Streicher- und Hornakkorden auf. Doch die Ruhe bestätigt sich nicht. Durch allmählich wieder einfallende Pizzicati und ständige Wechsel zwischen Dur und Moll tritt allmählich wieder Unruhe ein. Letztendlich verebbt der „ruhende Pol“ völlig und das Anfangsmedium (Bässe) und schließlich die Anfangsmotive setzen wieder ein. Auch das ist eine unverkennbare Parallele zu eigenen Konfliktsituation. Man scheint aus seiner Angespanntheit zur Ruhe zu kommen und sich zu erholen, doch nach und nach setzen Unsicherheit, Unruhe und Angespanntheit wieder durch. Genau wie in der Musik. In der entlädt sich die Spannung am Schluß doch, in einer Ekstase, die in Länge, Lautstärke und Intensität alle bisherigen weit übertrifft.

An diesem Beispiel sieht man, welch riesige Identifikationsmöglichkeien Bruckners Musik beispielsweise durch ihre Konflikte bietet. In einer Sinfonie von Bruckner sind große Mengen an Gefühlen und Assoziationsmögklichkeiten enthalten, die dem Zuhörer durch das Mittel der ästhetischen Identifikation die Möglichkeiten bieten, sich selbst, seine Emotionen und Gedanken in der Musik wieder zu entdecken. Sie beschränkt sich ja nicht auf das Scherzo, sondern alle Sätze vermitteln teils unterschiedliche, teils verwandte Gedanken und Gefühle, die unter einen gewaltigen Spannungsbogen zusammengefaßt werden.

So versteht man, dass es heißt „nach dem Hören einer Brucknersinfonie glaube man durch alles gegangen zu sein. Man erlebe ein Gefühl der Vollkommenheit!“

 

 

 

 

 

Wie hat Claude Debussy

unsere heutige Rezeptionsweise von Kunstmusik beeinflusst?

 

 

Von Maggi Minuzzi

 

 

Ich möchte in der folgenden Betrachtung aufzeigen, was die Musik Debussys für uns heutzutage interessant macht und in welchem Bezug wir zu der musikalischen Haltung stehen, die durch Debussy sicherlich entscheidend geprägt wurde: Die Haltung des "selbstbestimmten Zuhörens".

Wie dieser Begriff verstanden werden soll, werde ich anhand einer exemplarischen Musikbetrachtung des "Little Shepherd" aus "Children´s Corner" (geschrieben 1908) erläutern.

Hierin lässt sich ein Grundgestus erkennen, der typisch für Debussy ist. Er setzt sich hauptsächlich aus den Begriffen "Ruhe", "Innerlichkeit", "Nachdenklichkeit","Irrationalität", und "Ziellosigkeit" zusammen, kurz - allen Attributen eines Traumzustandes. Musikimmanent lassen sie sich entsprechend an typischen Merkmalen wie gemässigter Lautstärke, unklarer Tonalität, unklarer Rhythmik und vor allem an einem unklaren Verlauf der melodischen Linien festmachen.

Das Stück beginnt zum Beispiel mit einer einzelnen Melodie, deren Linie von einem unerwarteten Sprung gekennzeichnet ist und in drei aufeinanderfolgenden Noten mit Vorschlag endet (Takt 1-4, auch 12-13 und 19-20). Durch den unregelmässigen Rhythmus, die unregelmässige Dynamik und die stark "schwimmende" Tonalität wird der sprunghafte, bzw. ziellose Charakter der Melodie verstärkt und sie führt so den Hörer in einen Zustand der selbstbezogenen, konzentriert beobachtenden Ruhe. Es gibt ja nichts, was den Hörer an irgendetwas erinnern würde, was ihn unterhalten würde, sie lässt sich ja in keine Schublade stecken, jedenfalls nicht, was die intendierte Wirkung betrifft. So hört der Hörer also  konzentriert und erwartungsvoll zu.

Die eben genannte Beobachtung, dass die Musik hier eine Wechselwirkung mit den inneren, gedanklichen Vorgängen des Hörers eingeht, indem sie ihn in eine Art Traumzustand versetzt, möchte ich nun genauer erklären, da sie für das Verständnis des Begriffs vom "selbstbestimmten Zuhören" sehr wichtig ist.

In den folgenden Takten tritt aus der Stille der Pause plötzlich ein sehr klares, weil rhythmisch nachvollziehbares, lebhaftes Motiv auf, das zunächst in e-moll endet, dann aber wieder dunch die dominantische Wendung in der linken Hand einen unerfüllten, unklaren Charakter bekommt. Für den Hörer scheint es so, als habe er einen Gedanken gehabt, dessen Wert oder Inhalt ihn dann doch nicht ganz überzeugte. Ab Takt 8 tritt umgekehrt eine Dominante-Tonika-Beziehung auf, die diese Frage klärt, den Hörer in seinem Streben nach Klarheit befriedigt. Der fiktive Gedanke wurde als Dominante zu einer Art Vorhaben, durch dieTomika dann zu einer positiven Lösungsmöglichkeit. In Takt 19 erschrickt der Hörer fast, als die einsame Melodie in einer harmonisch sehr weit entfernten und fremdartigen Skala auftritt. Es ist, als sei ein neuer Gedanke da, der dann aber, im weiteren Verlauf in die ursprüngliche Idee eingliedert wird (Takt 21) und schliesslich Erfüllung bringt (durch die vorhaltartigen Grundmotiv-Wiederholungen in Takt 24 und 25). Anschliessend wird das Motiv aus Takt 7-11 wiederholt, die Idee ist also die Gleiche geblieben, der Hörer fühlt sich bestätigt, bzw. sicher.

Eine solche Behandlung der Motive ist besonders charakteristisch für Debussy. Es gibt eine Grundidee, aber sie ist nicht von dem Rest isolierbar, da sie sich ständig verändert. Völlig frei und völlig ungeregelt werden bekannte Motive wiederaufgenommen, sei es als Melodie oder als Bass-Begleitung oder irgendetwas dazwischen; neue Impulse fliessen ein, werden wieder verworfen, u.s.w..

Diese Spontanität also, diese "Ziellosigkeit" und Irrationalität ist es, was mich auf den Gedanken brachte, die Musik Debussys als einen Spiegel gedanklich-emotionaler Vorgänge zu betrachten. 

Dies zusammen mit dem ruhigen, lyrischen Charakter und mit dem Fehlen jeglichen Pathos, jeglicher "Effekthascherei" (wie Debussy es selbst nannte) macht seine Musik zu einer "Musik zum genauen Zuhören". Seine Abkehr von der klassischen Harmonielehre, von klarer Tonalität und Linienführung, diese Genauigkeit im Ausdruck, da nun jeder Ton gleichwertig ist und die Stimmung nachhaltig beeinflusst, zeigt, dass sein Schwerpunkt die Frage ist: Was fühle und denke ich, wie kann ich es am treffendsten ausdrücken ?

Das selbstbestimmte Zuhören ist also eine manchmal distanzierte, eher beobachtende Haltung zur Musik. Das Werk soll nicht nicht zum Tanzen auffordern, nicht Wünsche befriedigen, nicht Ideale benennen, nicht appellieren. Debussy sagt: "Ich strebe für die Musik eine Freiheit an, die sie vielleicht mehr als jede andere Kunst in sich birgt, eine Freiheit, welche nicht mehr auf die getreue Wiedergabe der Natur eingeengt bleibt, sondern auf den geheimnisvollen Entsprechungen zwischen Natur und Phantasie beruhen sollte. Natur und Phantasie - Beobachtung und gedankliche Vorgänge, das sind hier die Stichworte. Durch das Fehlen dramatischer Effekte, durch die der Hörer "mitgerissen", d.h. in bestimmte emotionale Zustände versetzt wird, ist hier die Freiheit gegeben, die musikalischen Vorgänge mitzuverfolgen, oder es bleiben zu lassen. Die Musik will ja nichts bewirken, sie ist der Versuch eines persönlichen Ausdrucks.Weil diese Haltung zu Lebzeiten Debussys noch nicht ganz verstanden worden war, wurde zum Beispiel die Uraufführung von "Pelléas et Melisande" zu einem Flop. Das Publikum fand das Werk langweilig, vorgeprägt von dem starken Eindruck, den der damals hochaktuelle Wagner hinterlassen hatte, ohne zu begreifen, das sein Sinn nicht darin lag, sie zu unterhalten. 

Wer also die Haltung des selbstbestimmten Zuhörens einnimmt, denkt über die Frage "langweilig oder interessant" hinaus. Er hat sich entschieden, die Musik mitzuverfolgen und tut dies rein zum Selbstzweck, so wie auch Debussy rein zum Selbstzweck komponiert hat.

 

Warum nun ist Debussys Werk heute noch für viele Menschen reizvoll?

Ersteinmal kann man sagen, dass sie nachvollziehbar ist, weil er doch durch sein Werk unsere Rezeptionsweise in Richtung des selbstbestimmten Zuhörens geprägt hat. Heutzutage und seit der Zeit, in der Musiker, wie er, zum Selbstzweck komponierten, können wir uns in eine solche Haltung begeben, wenn wir wollen.

Ein anderer Grund ist: Er wollte, wie gesagt, keine politische Meinung oder sonstige äusseren Inhalte vermitteln, die man, aus dem damaligen Kontext herausgerissen, nicht mehr so nachvollziehen könnte, wie sie wirklich gemeint waren. Zum Beispiel haben manche Stücke Beethovens, deren Botschaft bzw. Hintergrung politisch war, heute eher nur einen emotionalen Wert für uns. Somit ist zum kompletten Verständnis der Musik mancher Komponisten, d.h. des Verstehens, wie sie wirklich verstanden werden sollte, eine direkte Beziehung zum politischen Kontext nötig. Nicht so bei Debussy! Eine ästhetische Identität (H.H.Eggebrecht), eine Gleichwerdung des intendierten musikalischen Gehalts und der tatsächlich stattgefundenen Wirkung auf den Hörer, ist deshalb bei Debussy sicherlich leichter zu erlangen als bei Komponisten, deren Werkverständlichkeit ein anderes Hören voraussetzt als das reine Nachvollziehen der musikalischen Vorgänge.

Der letze Grund ist: Ich spreche als Kind meiner Zeit, wenn auch ein ziemlich einsames, wenn ich sage, daß ich es nicht mag, von Musik "mitgerissen" zu werden, mir quasi künstlich Gefühle machen zu lassen.

In Anbetracht des Überschusses an hochgespielten Empfindungen im Fernsehen in Zeitschriften oder in der Werbung, vor allem aber in Anbetracht der ekstatischen Wirkung von Techno und House, kann man doch mit gutem Gewissen sagen, das viele Menschen der heutigen Generationen wieder stärker das Bedürfnis nach Ruhe und nach authentischem Gefühlsausdruck haben, was bei Debussy der Fall ist, vielleicht auch, dass viele Menschen heute, ihrem Individualismus folgend, es unangenehm finden,

sich künstlich in emotionale Zustände versetzen zu lassen, und so Gefallen an Debussy haben.

Ich spreche auch als als Kind meiner Zeit, wenn ich sage, ich strebe nach Genauigkeit, nach durchleuchtender Selbstbeobachtung, wie sie bei Debussys differenzierter Klangfarbigkeit zum Ausdruck kommt (alle Töne sind gleich wichtig, Konzentration auf bestimmten Ausdrucksgehalt ).

In einer Zeit, in der alle Tabus gebrochen sind, alles schon einmal gesagt wurde, und in der man alles bis ins Kleinste erforscht hat (zum Beispiel Atomphysik, Genetik), steigt der Anspruch an die Ausdrucksfähigkeit: In der Musik ist die Harmonielehre ausgeschöpft, man will also viel differenziertere Gefühle als Wut, Trauer, Unsicherheit oder Übermut ausdrücken, entsprechend strebt die Wissenschaft auch nach immer genaueren Beobachtungen und genaueren Erklärungen.

Debussys Musik ist also heute noch aktuell, einerseits weil sie vielen Menschen das gibt, wonach sie sich sehnen; unvoreingenommene, einfache Beobachtung, Freiheit, andererseits weil er unser Musikverständnis geprägt hat. Seit ihm darf das Publikum "selbstbestimmt" zuhören!

 

 

 

 

 

Die „Sinfonia Domestica“ als musikalisches Selbstbildnis

von Richard Strauss

Wechselspiele zwischen Liebe, kleinen Streitereien, Familienglück und wie es auf den Hörer wirkt.

 

 

Von Matthias Schottstädt

 

 

Zu Beginn meines Aufsatzes über das Selbstbildnis des Richard Strauss in der „Sinfonia Domestica“ nenne ich zu­nächst ein paar Fakten über sein Leben, die mich besonders interessiert haben:

Schon sehr früh hat der junge Richard angefangen, seine Gefühle in Musik auszudrücken, allerdings noch lehr­buchmäßig korrekt. Noch bevor er zwanzig Jahre alt war, hatte er bereits so fundierte musikalische Kenntnisse, daß ihm erste Erfolge gelangen. Strauss‘ Karriere schoß unter Anleitung seines ersten Lehrers Hans v. Bülow steil in die Höhe. Trotz der offensichtlichen öffentlichen Meinungsverschiedenheiten über seine ersten großen sinfonischen Dichtungen ließ er sich nicht beirren, seinen einzigartigen Stil der Programmusik weiter zu entwic­keln. „Ein Heldenleben“ und die „Domestica“ bilden den Höhepunkt seines ersten Lebensabschnittes, in dem er vom unbekannten Sohn aus einigermaßen gutem Hause zum weltberühmten Dirigenten und Komponisten aufge­stiegen ist. Vielleicht ist es gerade diese Leichtigkeit, diese Sorglosigkeit, die mich besonders fasziniert hat: Trotz einiger Fehlschläge und Krankheiten hat Stauss nie die Hoffnung auf seinen Erfolg verloren. Dieses Glück läßt sich bei ihm auch in der Liebe nachvollziehen: Seine einzige Liebe, die Tochter eines Brauereimeisters, lernt er während ihres Gesangsunterrichts kennen, und sie erwidert seine Liebe. So kann einem Familienidyll mit allen seinen Kleinigkeiten, Reibereien und Glück nichts mehr im Wege stehen, als der kleine Sohn geboren wird. Genau dieses Idyll ist es, an das sich der nunmehr vierzigjährige Vater erinnert, als er die „Sinfonia Domestica“ schreibt. Wichtig zu erwähnen ist noch, daß dieses Glück bis dahin noch nie richtig unterbrochen wurde, weder durch Mißerfolge, noch durch Krankheit oder (nicht vorhandenen) Liebeskummer. Dieses Glücksgefühl und diese Zufriedenheit sind es, die vor allem in der Nachtszene der „Domestica“ auftreten. Eine Beschreibung der „Domestica“, besonders auf den Teil kurz vor und kurz nach dem Adagio soll die Grundlage für die Begründung dieser These sein:

 

Die Grundstruktur der ganzen 45-minütigen einsätzigen Komposition beruht auf drei Hauptthemen: Der Vater, die Mutter und das Kind (In der Partitur mit den Programmtiteln 1 – 3 überschrieben), die zu Anfang des Stückes kurz vorgestellt werden. Die Themen von Vater und Mutter, deren erste drei Töne eine Umkehrung vom jeweils anderen Thema sind, sind so wandlungsfähig, daß beide die ganze Bandbreite zwischen Zärtlichkeit, Liebe über Autorität bis Zorn ausfüllen. So entsteht ein ständiges Wechselspiel zwischen den Themen, zu denen das fast melancholische Thema das Kindes hinzukommt. Konkret auf den ausgewählten Ausschnitt bezogen könnte man es wie folgt beschreiben:

Das Thema des Kindes klingt noch langsam aus, bis sich das des Vaters, sehr breit gezogen, fast choralartig hervorhebt und als Umkehrung einen plötzlichen Gefühlsausbruch darstellt, das in der Partitur mit „molto espres­sivo“ und einem „forte“ bezeichnet ist. Das zweite Thema in der Sologeige beschwichtigt und beruhigt den Auf­ruhr wieder. Ein Tonartwechsel (von G-Dur nach Ges-Dur) mit dem sehr zart gespielten Thema des Mannes bildet den Anfang der nun folgenden Liebesszene. Es Entsteht ein Dialog zwischen Geigen (Thema II) und Celli (Thema I), der mit einem unglaublich breiten Klangteppich des kompletten restlichen Orchesters im Pianissimo unterlegt wird. Eine durch die schier endlose Dominante entstandene Spannung wird in einem sehr leisen E-Dur aufgelöst. Gleich danach bildet sich wieder das aufstrebende Thema I heraus, das sofort im Gegenzug vom zweiten Thema beruhigt wird und sich wieder nach einer Dominant-Spannung auflöst. So passiert dies noch mehrere Male immer im Wechsel zischen Thema I und II, so daß eine wellenartige Kurve zwischen Gefühls­wallung und zärtlicher Beruhigung entsteht, bis sich das Mannesthema noch einmal bis zur unerträglichen Span­nung hebt, unterlegt von durchgehenden Achteln in Bläsern und Harfe, und sich diesmal nicht in die Tonika auflöst, sondern in das Thema des Kindes übergeht. Diesmal ist es das Thema des Mannes, daß durch sein Er­scheinen wieder auf das eigentliche Geschehen zurückführt: Die Liebe. Ein weiterer Dialog in mehreren Solostreichern beendet langsam ausklingend die Nacht, bis es sieben Uhr schlägt (Röhrengong).

Was mich an diesem Stück und besonders an diesem Ausschnitt so fasziniert ist die unglaubliche Vielfalt an Stimmungen (Heiterkeit, Streitereien, Besorgnis, geschäftiges Treiben, Liebesgefühle, Zufriedenheit...), die alleine durch die Kenntnis der Programmtitel Vater, Mutter, Kind und Nacht so genaue Bilder beim Hörer (bzw. bei mir) hervorruft, daß dieser sich das Familientreiben bis in Detail vorstellen kann. Meine Vorstellung von der Handlung dieser Szene ist z. B., daß Vater und Mutter, nachdem sie das Kind ins Bett gebracht haben (leiser Ausklang des Kind-Themas), sich nun endlich ihrer Liebe zueinander widmen wollen. Der etwas ungestüme, leicht aufbrausende Vater kann auch seine Liebesgefühle nicht ganz unter Kontrolle halten (mehrmals aufbrau­sendes Thema des Mannes) und muß von der Mutter immer wieder besänftigt werden (Thema der Mutter als abwärts gerichtete Umkehrung des ersten Themas). In gegenseitigen Liebesbeteuerungen (Dialog Geigen – Celli) entsteht so die beschrieben Wellenbewegung der Gefühle, die Sehnsucht des einen nach dem anderen, die sich aber immer unmißverständlich erfüllt (Auflösung der Dominant-Spannungen).

Der Eindruck, den der Hörer also bekommt, nachdem er die Programmtitel gelesen und das Stück gehört hat, ist wahrscheinlich zwar ein wenig verändert, allerdings meiner Meinung nach nur positiv. Die Titel tragen eigentlich nur dazu bei, daß auch der ungeübtere Hörer sich mit der Musik auseinandersetzen und sich seine Gedanken dazu machen kann, ohne sich speziell vorbereitet haben zu müssen. Gerade das ist es aber, was damals wie heute den Programmusik-Komponisten vorgeworfen wurde: Die Musik sei durch die Kenntnis ihrer genauen Titel zu einfach zu verstehen oder nicht mehr „selbstsprechend„ (selbsterklärend ?). Aber wo ist da der Fehler? Im Gegensatz viel­leicht zu anderen Komponisten hat Strauss eben vornehmlich für seinen Geldbeutel komponiert und weniger aus Spaß am Komponieren (obwohl der auch nicht gefehlt haben kann). Gerade heute wissen wir, wie wichtig es ist, die breite Masse auf sich aufmerksam zu machen, um mit seinem Produkt (hier die Musik) Erfolg zu haben, was Strauss ja gut gelungen ist.

Speziell bei Strauss kommt noch ein anderer Vorwurf dazu: Vielfach wurde und wird ihm nachgesagt, mit der „Domestica„ eine Selbstverherrlichung komponiert zu haben, ähnlich wie beim „Heldenleben“. Dem wäre aber entgegenzusetzen, daß er in dieser Komposition eine so differenzierte Darstellung seines Lebens liefert, daß auch die Teile nicht fehlen, die eigentlich nicht für ihn und sein Verhalten sprechen (oder das seiner Frau), zum Beispiel das ständige unkontrollierte Aufbrausen und die autoritäre Haltung gegenüber seiner Familie, die ja wie vorhin beschrieben, nicht zu übersehen ist. Ein zur damaligen Zeit verständlicher Kritikpunkt ist, daß ein so genauer Einblick in die Intimsphäre einer Familie absolut unüblich und unschicklich war, genauso wie das gewisse „Lästern„ über die Familie. Das gehört aber für mich einfach dazu, wenn ein Komponist eine musikalische Autobiographie schreibt, und sie glaubwürdig erscheinen lassen möchte. Es sind alle diese vorher schon angesprochenen Feinheiten, von der Liebe bis zum Streit, von Hektik bis Entspannung, vom Alltagstrott bis zur Überraschung, die der „Domestica„ ihren realistischen Charakter geben (ohne zu übertreiben), die mich gerade an diesem Stück so faszinieren und mit denen ich mich im Eggebrecht‘schen Sinne so gut identifizieren kann

 

 

 

 

Tschaikowski

 

Das Streben des Gefühlsmusikers nach der Erlösung.

Warum die tönende Emotionalität des

  „Ersten Klavierkonzerts“

ihre Ausdruckskraft auch heute noch nicht verliert.

 

 

von Lisa Chenderowich

 

 

In dem Finalsatz von Tschaikowskis erstem Klavierkonzert spiegelt sich der Kern seiner Musik, der Kern seines Musikstils sehr genau wider.

Sein Stil basiert dabei hauptsächlich auf der fließenden Melodik, die all seine Werke durchzieht, auf dem Kontrastreichtum innerhalb eines einzigen Werkes und auf seiner Menschennähe, die durch die Vielzahl an Tonmalereien und Gefühlsbetontheit dem Hörer deutlich wird. Ebenfalls darf man die russisch-lyrische Linie seines Schaffens nicht außer Acht lassen, die all seine Werke hindurch klar hörbar bleibt. All dies ist auch an meinem Musikbeispiel (am Finalsatz seines ersten Klavierkonzerts) nachzuvollziehen.

Das Finale besteht aus zwei vollkommen verschiedenen, untereinander stark kontrastierenden Themen. Das erste Thema, das ohne jegliche Vorbereitung (=Vorwarnung) plötzlich „hereinbricht“ und somit das Finale einleitet, ist an ein ukrainisches Volkslied angelehnt und in stilisierter und synkopierter Form (Tschaikowski wird auch „der Meister der Synkopen“ genannt) vom Komponisten in sein Werk aufgenommen worden. Es ist ein vor Temperament sprudelndes, rasches, aufgewühltes, pompöses Thema mit einer sehr leicht nachvollziehbaren Melodie - tonmalerisch-tänzelnd und mit affektierter Gefühlsbetontheit, durch welche sie den Zuhörer geradezu überwältigt und in ihren Bann zieht.

Dieses Thema wird gleich am Anfang vier Mal wiederholt, wodurch die Spannung immer mehr aufgebaut wird. Explosionsartig und vollkommen unverhofft wird dieses Klavierthema, dessen Orchesterbegleitung immer mehr an Klangvolumen gewinnt, von einem pompösen Höhepunkt im Fortissimo „abgelöst“. Das gesamte Orchester bricht herein, wütet mehrere Takte hindurch, bis es wieder völlig abrupt abbricht und dem Einstieg in das zweite Thema die „Erlaubnis“ gewährt, sich zu entfalten. Im Mezzoforte setzt die sanfte Einleitung zu dem zweiten Thema ein. Klavier und Streicher führen eine fließende Melodie, eine wellenartige, ruhige Bewegung verdeutlicht den Kontrast zu dem impulsiven ersten Thema.

Das zweite Thema, das Tschaikowski im Vergleich zu dem ersten sein Eigen nennen darf, fließt, wird unruhig, legt sich wieder, zarte und sanfte Gefühle, ebenfalls mit russischen Anklängen versehen, werden durch die stark ausgeprägte Gestik deutlich. Hierin erkennt man das Wesentliche an Tschaikowskis Musik: sein Streben und seine Suche. Der Spannungsauf- und wieder -Abbau dienen als Hilfsmittel zur Verdeutlichung dessen.

Beide Themen, das aufgewühlt-affektierte und das fließend-emotionsvolle scheinen innerhalb dieses Finalsatzes einen Kampf zu führen, den Kampf zweier seelischer Kontraste, zweier Elemente der Seele. Dabei wird der strebende Charakter immer deutlicher, immer dringender. Ganze fünf Höhepunkte durchziehen das siebenminütige Werk, jedes Mal explosionsartig, jedes Mal unverhofft und pompös.

Aber wohin geht dieses Streben beider Themen? Sie streben aufeinander zu. Je näher man dem Ende kommt, desto näher liegen auch diese beiden kontrastierenden Elemente beieinander, sie gehen ineinander über, vermischen, ja vereinen sich nahezu. Ein Widerspruch? Keineswegs.

Zum Ende hin übernimmt sogar das zweite, das inferiore und ruhige Thema den entscheidenden Spannungsaufbau. Es wächst, schwankt noch, kommt aber plötzlich und abermals vollkommen unverhofft zu einem Höhepunkt. Das gesamte Orchester entfaltet seine Wirkung, das ehemals „unschuldige“, sanfte Thema ist nun im Fortissimo und trägt nochmals zum Spannungsaufbau bei, indem es den Höhepunkt nochmals, etwas verzögert und sehr ausgedehnt, steigen läßt, noch einen Schritt „höher“ geht, bis die Spannung kaum mehr zu halten ist. Auf einmal scheint alles abzubrechen. Das Klavier übernimmt allein, in schnellen Läufen, den Verlauf, steigert sich affektiert und leitet den letzten, den wirklich finalen Höhepunkt, diesmal wieder vom ersten Thema geführt, ein. Das schnelle, pompöse Thema und das nicht minder pompöse Ausklingen (sehr eigen und typisch für Tschaikowski) übersteigern alles zuvor dagewesene und lassen im Fortissimo die letzten Dur-klingenden Akkorde erklingen.

Die kontrastierenden Themen erreichen also letztlich beide ihre Höhepunkte, und zwar nacheinander. Warum? Für mich bedeutet dies die „Versöhnung“ beider gegensätzlicher Elemente der menschlichen Seele. Dies ist also das Streben, die Suche, die das gesamte Werk immer klarer durchdringen. Das Streben nach seelischer Ruhe, nach dem Glück, nach der Vereinigung der gegensätzlichen Elemente, die die Seele stets bewegen.

Tschaikowski hat - meiner Auffassung nach - nach einer Erlösung aus seinem Leiden gesucht und diese letztlich auch, zumindest in seiner Musik, gefunden. Er, der seine Homosexualität Zeit seines Lebens versucht hat, vor der Außenwelt zu verbergen, selber nicht in der Lage, damit Frieden zu schließen, suchte nach einem ruhenden Pol im Leben. Diesen bildete seine Musik, oder besser gesagt, die Flucht in seine Musik.

Die Kontraste, die Explosionsartigkeit, die Lyrik und die Gesanglichkeit, die Volksnähe und die Aufrichtigkeit dieser Musik macht Tschaikowskis Suche nach der Erlösung nahezu zeitlos und daher auch heute noch zugänglich und nachvollziehbar für den (post-)modernen Zuhörer.

Was ebenfalls sowohl bei diesem, als auch bei allen anderen Werken Tschaikowskis eine nicht minder bedeutende Rolle spielt, ist der aufbauende Gesamtcharakter seiner Musik. Diese ist nämlich, so wie Tschaikowski sie auch konzipiert hat, „durch und durch gut“. Trotz seiner Angst vor der Gesellschaft, die den Komponisten stets als introvertiert erscheinen ließ, hat er den Menschen nämlich etwas geben wollen, etwas, das sie nicht beunruhigen oder deprimieren sollte, sondern etwas, das ihnen, so wie auch ihm, das Leben erleichtern sollte. Tschaikowski errichtete daher seine eigene Phantasiewelt der Musik, er komponierte Phantasiegebilde, aufrichtig, denn er glaubte aus voller Überzeugung daran.

 

Ein anderer Aspekt seiner Kompositionen ist seine Liebe zu Rußland, dessen Volk er sehr schätzte. Daher findet man selbst kaum ein Werk, das nicht von russischen Motiven (wenn auch nicht auf den ersten Blick bemerkbar) durchzogen ist.

Bewundernswert ist aber, wie Tschaikowski sein Leiden, seinen Schmerz überwinden konnte, so daß seine Musik stets ihren guten, optimistischen Kern behielt. Ich denke, das liegt in seinem Naturell, nämlich daß die Musik für ihn den einzigen wirklichen Ausweg, die einzige Form der Erlösung darstellte. Ohne diese als eine Art Ventil für seine Emotionen (in seiner Musik: kontrastreich, doch sich immer wieder „versöhnend“), hätte er wahrscheinlich - denn er war hypersensibel - nicht oder mit sehr großen Schwierigkeiten leben können.

Das ist der Grund dafür, daß Tschaikowskis Musik stets diesen guten Kern hat: er glaubte daran. Wahrscheinlich ist dies auch der Grund dafür, daß sie heute noch so präzise verstanden werden kann.

Ich meinerseits sehe auch für mich die Möglichkeit der Flucht in Tschaikowskis Musik. Die Phantasiewelt des Guten, diese „tönende Emotionalität“ und diese Eindringlichkeit läßt auch mich in die Traumwelt des Schönen und des Harmonischen entfliehen. In der heutigen Welt des sturen Realismus, der Hektik, der Anonymität, des ständigen Wettkampfes und der daraus resultierenden Ruhelosigkeit suche ich nach einem Ruhepol, nach dem „Guten“, nach eben diesen Kontrasten der Seele, ja, vielleicht auch nach der Erlösung.

Genau diese Märchenwelt eröffnet sich mir beim Hören von Tschaikowskis Werken. Diese Vielfalt fließender Melodien, die Lyrik und diese totale Distanzlosigkeit (durch die menschennahen Melodien) ermöglicht es mir, Eins mit der Musik zu werden, mich mit ihr zu identifizieren (durch die allgemein verständliche Gefühlssprache), der Realität zu entfliehen.

 

Ein andrer Aspekt, der mich wohl weit mehr mit Tschaikowskis Musik verbindet ist die Tatsache, daß meine ersten bedeutenden und bewußten musikalischen Erlebnisse ebenfalls von seiner Musik herrühren. Das Auffallende dabei ist jedoch, daß ich mich im Alter von fünf Jahren bereits auf diese Musik einlassen konnte.

So konnte ich bereits im Kindesalter in die Traumwelt des Komponisten flüchten, rein instinktiv vernahm ich diesen guten Kern und diese menschennahen, harmonischen Klänge.

Diese Tatsache, nämlich daß ein Mensch rein instinktiv dazu befähigt ist, diese Musik zu verstehen, verdeutlicht meine Theorie: Tschaikowskis Musik ist aufgrund seiner klaren Gesten, seiner deshalb verständlichen Gefühlsumschreibungen und seines volksnahen Charakters leicht nachvollziehbar und allgemein verständlich. Das Streben und die Erlösung erscheinen mir ebenfalls als sehr gut übertragbar auf die heutige Zeit (natürlich vorerst nur von meinem Standpunkt aus).

Meine ästhetische Identifikation gilt daher nicht allein der melodischen suchend-findenden Musik, sondern auch dem Komponisten, dessen Gründe für das Schreiben solch einer übernatürlichen Musik ich auf das Höchste bewundere und schätze.

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig van Beethoven’s „Mondscheinsonate“.

Ein Beispiel des Spiels zwischen Schmerz, Leid und Überwindung.

Sind wir erfolgreiche Spieler dieses Spiels?

 

 

Von Sinan Mece

 

 

Jeder Musikliebhaber kennt die traurige, erfolgreiche, kämpferische – kurz, ergreifende Geschichte des Ludwig van Beethoven, sein schweres Leben, angefangen schon in seinem Elternhaus in Bonn. Im jugendlichen Alter war er schon verpflichtet, seine Familie zu versorgen und gleichzeitig die Ideale seines jungen Gehirns zu erfüllen. Er hat es Stufe um Stufe mit sehr viel Verstand und Wille verstanden, diese weitestgehend zu verwirklichen. Nicht nur für sich, sondern für sein Publikum, für das er sich sehr verantwortlich gefühlt hat.

All das wurde von einem untröstlichen Schicksal sabotiert, aber gerade durch diesen Schlag wurde meiner Meinung nach Beethoven zu dem Beethoven, der er geworden ist. All seine Wünsche, Gedanken, seine Persönlichkeit spiegelt er in seinem Heiligenstätter Testament wider. Spätestens nach dem Lesen des Testamentes, welches alle vorher beschriebenen Aspekte seines Lebens schildert, versteht man die Grundgesti seiner Werke besser oder vielleicht überhaupt.

Hier setzt auch mein Interesse an: Nämlich wie ein Mensch unter diesen Umständen den Konflikt mit sich bewältigt und besonders in seiner Musik zum Ausdruck bringt. Man hat ihn in seinen frühen Jahren als einen zweiten Mozart gepriesen, jedoch wurde er ein erster Beethoven. Ein Beethoven, der in der Musikgeschichte des abendländischen Raumes ein Wendepunkt wurde bezüglich des Verständnisses von Musik und die Gestaltung dieser.

 

Nun stellt sich manch einer die Frage nach dem Warum für dieses Interesse. Diese Frage ist wahrhaftig nicht leicht zu beantworten, da die Erörterung dieser Fragen von einem selbst nicht komplett erscheinen können. (Man liegt ja nicht auf der Kautsch). Trotzdem lassen sich einige Aspekte erörtern, die mit der Zeit und den Umständen, in der man lebt, zutun hat, um dieses Interesse zu rechtfertigen.

Im Titel dieses Aufsatzes ist die Frage, ob wir heute „gute Spieler dieses Spieles“ sind, gestellt. Ich stelle mir diese Frage, weil wenn man alle Probleme der Menschen betrachtet, diese größtenteils aus Problemen bestehen, für die die Menschen selber verantwortlich sind. Weiter sehen wir, dass viele dieser Probleme nicht oder nur unzureichend gelöst werden. Der Kern bei all dem aber ist man selbst. Solange man denkt, eine bessere und friedlichere Welt sei Utopie, hat man das Spiel meiner Meinung nach schon verloren.

Hat Beethoven denn das Spiel gewonnen? Nun, eines kann man sicherlich sagen: Er hat es mit all seiner Begabung als Komponist und als Individuum mit all seiner Kraft versucht. Hier müssen wir einen exemplarischen Blick auf seine Musik werfen, um seine Sehnsucht bezüglich des oben genannten Aspektes zu exemplifizieren.

Die unter die Lupe genommene „Mondscheinsonate“ hat aber den Nachteil, dass sie „Mondscheinsonate“ heißt. Dies trübt das Bild zu sehr, so dass ich im weiteren nur die „Sonate“ schreiben werde und davon abrate den Titel „Mondscheinsonate“ in irgend einer Weise in Verbindung mit dem folgenden zu setzen. Es gibt nämlich keine Verbindung!

 

Wir finden eine dreisätzige Sonate vor: Den ersten Satz im Adagio sostenuto, der zweite ein Allegretto und der letzte im stürmischen Presto agitato. Der erste Satz ist sehr schwer und die Motive haben alle kleine Intervalle, man hört ein Wechselspiel auch von dissonanten und konsonanten Klängen. Das Thema hat einen traurigen und schmerzlichen Charakter. Die Ausbrüche mit größeren Intervallen nach oben und die Abwärtskadenz der Melodie verleihen neben der Traurigkeit auch eine gewisse Sehnsuchtsstimmung. Die gebrochenen Akkorde in der linken Hand, die durchgängig sind, verleihen dem ganzen Satz eine Leichtigkeit, die ich hier mit einer gewissen Transzendenz beschreiben will.

Der zweite Satz ist ein freudiger Satz. Dies rührt durch das „leichtfüßige“ Thema vom Anfang her. Es hat aber einen „gefangengenommenen“ Charakter, der den Ausbruch immer wieder zurückführt.

Der letzte Satz hat es in sich. Er ist wie gesagt sehr stürmisch, ein wahres Gewitter. Die Läufe in beiden Händen aufwärts gerichtet und jeweils immer abgeschlossen mit zwei kurzen fortissimo Akkorden bilden eine gewaltige Unruhe beim Hörer aber auch beim Spieler. Man kann diese Unruhe meiner Meinung nach als ein Erstreben nach etwas sehen. Ist es ein Prozeß der Überwindung? Ich denke schon. Im ersten setzt nach der einige Takte fassenden „Einleitung“ das Thema ein, welches außerordentlich melancholisch ist, bedingt durch die Primsequenz am Anfang und in seiner kurzer Dauer um diese Sequenz streift und wieder zum Anfang zurückkehrt. Als Kontrast dazu stelle ich den 2. und 3. Satz, wobei ich hier mehr auf den 3. eingehe. Dieser ist das Finale, der Prozeß der Überwindung.

 

Nachdem ich an diesen Stellen den Zusammenhang von Komponist, Leben und Musik in meiner Perspektive geschildert habe, will ich meinen Prozeß der ästhetischen Identifikation zusammenfassen und im letzten Teil dieses Aufsatzes meine Schlußfolgerungen erläutern.

In diesem Moment und auch in vielen folgenden werde ich den Prozeß der ästhetischen Identifikation nicht 100% abschließen können, da die Menschheit sich entwickelt. Irgendwie. Aber die Erfahrung (ein Zwischenbericht) von einem Komponisten, auf den sein eigener Spot gerichtet ist, ist sehr lehrreich. Den Aspekt der Leidüberwindung habe ich deshalb ausgesucht, weil erstens Beethoven ein Paradebeispiel dafür ist und zweitens, weil ich mir klar machen wollte, wie man solch ein Thema, welches fast alle Menschen beschäftigt, in Musik darstellen kann. Da ich persönlich in der Abendländischen und Morgenländischen Kultur aufwachse, ist für mich auch ein Vergleich dieser beiden bei der Verarbeitung diese Grundproblems interessant und auch in musikalischer Sicht lehrreich.

Über Beethoven gibt es viel zu schreiben. Jeder Aspekt seines Lebens, sei es die Leidüberwindung wie hier oder der humanistische Aspekt, um nur zwei zu nennen, füllen ganze Bücher; der Grund ist, dass sie so universell sind. Es war sehr interessant, einen Ausflug in seinen Makrokosmos mit Hilfe eines Spots zu unternehmen. Ich habe verstanden, mit Vernunft und Wille an Konflikte heranzugehen. Der Titel war „Sind wir gute Spieler dieses Spieles?“. Wenn man auf das Weltgeschehen guckt, auf all die Krisenherde, auf das Leid der Menschen und unsere „Postmoderne“ Musik bzw. Kunst, muß man sagen, dass viele Menschen das Spiel nicht Spielen können. Nicht das es schon reicht, sich selbst unfähig zu sehen, diesen inneren Konflikt zu lösen, übertragen manche ihre Wut von sich auch noch auf andere (Bsp. Milosevic). Um zur Kunst zurückzukommen, sehen wir heute anstatt eines Prozesses der Konfliktbefassung und –lösung eine Szene, die dem Wunsch der Massen nachgeht, sich berieseln zu lassen. Ein Grund vielleicht warum Klassik von der besonders jungen Generation nicht gut aufgenommen wird. Es wird nicht mehr richtig verstanden. Eine 9. Sinfonie von Beethoven hat einen Namen, aber die wenigsten können diesen Namen auch füllen. Hier sehen wir uns mit der Folgerichtigkeit von Musik (s. Eggebrecht) konfrontiert. Beethoven hatte in sich und mit sich seine großen Meister der Zeit vereint und in seiner Musik den Gedanken einer besseren Welt, nicht nur aber auch, zum Ausdruck gebracht.

 

 

 

 

 

Über die Grundstimmung

in Gustav Mahlers drittem Satz der I. Symphonie

 

 

von Tatjana Morozova                                                                                                               

 

 

Zum ersten Mal hörte ich den Namen Mahler im Musikunterricht. Ich entschied mich für ihn, weil mich seine Musik sehr beeindruckt, fasziniert hat. Sie ist kontrastreich, lebendig, gefühlvoll, so stark emotional und schmerzerfüllt, daß sie mich mit ihrer ganzen Energie beherrscht. Man hat keine Möglichkeit, aus ihr herauszukommen, und man befindet sich vollkommen in ihrer Macht, bis der letzte Ton ausklingt.

Besonders im dritten Satz der ersten Symphonie hat mich der Grundgestus der Musik fasziniert. Es ist das Gefühl der Traurigkeit, des Leidens und der unendlichen Sehnsucht, das immer da ist. Schon am Anfang des Satzes höre ich gedämpfte Paukenschläge, die mich an durchgehende Schritte und an Trauer oder Tod erinnern, die fließend in einen Kanon der „Bruder-Martin“-Melodie übergehen, der von Kontrabaß mit Dämpfer in gequält hoher Lage, dann von Fagott, Cello, Baßtuba und Es-Klarinette  rhythmisch übernommen wird und mich in eine düstere, dunkle Stimmung versetzt. Außerdem setzt das störende Signal der Oboe ein, das den Rhythmus der Trauer zusätzlich konnotiert und sich plötzlich in eine volkstümliche Melodik, tanzartige Musik verwandelt, aber trotzdem geht das Gefühl der Traurigkeit und des Leidens nie verloren.

Zum Beispiel in der Stimme des Blechinstrumentes, bei der die Melodie katabasisartig, also stufenweise abwärts, abnimmt und die Langsamkeit des Metrums in den Streichern eine unerträglich traurige  und gleichzeitig lustige Stimmung schafft.

Ein weiteres Beispiel für das Leiden ist eine Stelle, in der "eine Klage" im Rhythmus des Trauermarsches von zwei Klarinetten, Fagott und Flöten gespielt wird und durch „M-ta“ - „M-ta“ des Schlagwerks (türkische Becken+große Trommel) begleitet wird, in der Lustigkeit und Trauer zugleich klingen.

Ich habe den Eindruck, daß der Komponist seine depressive Stimmung durch das Volkstümliche, Tänzerische und Lustige zu vergessen oder zu überwinden versucht und es nicht schafft, weil immer etwas stört. Entweder der Rhythmus, der Trauer signalisiert oder die Paukenschläge, die immer da sind. Sie geben keine Möglichkeit sich zu befreien, indem die beiden Elemente entweder  wie aus der Ferne an die Trauer erinnern (stellenweise Paukenschläge, die schrittweise crescendieren) oder direkt das Signal der Trauer erkennbar machen (an der Stelle, wo die Streicher im forte den Rhythmus andeuten).  

Die Paukenschläge oder die Schritte sind sehr charakteristisch für die stetige Bewegung. Man merkt, daß jemand sehr hartnäckig, willensstark und auf der Suche nach etwas ist. Für einen Augenblick denke ich, etwas gefunden zu haben. Es ist eine geheimnisvolle Stimmung, in die ich versinke und spüre, wie meine Seele sich von Zwängen des Rhythmus und der Schritte befreit hat, das Gefühl der Wohligkeit, des Schwebezustandes sich entwickelt hat und ich das Gefühl des Schönen, Heimischen und Heiligen gefunden zu haben glaube. Es ist, als ob ich ein Licht am Ende des Tunnels sehe: die einzige Hoffnung.

Diesen Zustand erkläre ich mir durch den zarten Harfenklang (mit Dur-Terzen gefüllt), der den sogenannten harmonischen Teppich bildet und auf mich sehr beruhigend wirkt.

Die weitere angenehme Empfindung steckt in der schönen, einfachen Melodie, die von Streich -und-Holzblasinstrumenten gespielt wird und versucht, in ihrer aufsteigenden Melodie, die mit Terzen und Sexten gefüllt ist, eine Art "Erlösung" zu finden. Das Gefühl des wohltuend Schönen dauert leider nicht lange an, aufgrund der zarten Oboenmelodie, die sich zunächst aufschwingt und langsam abschwingt. Es ist, als ob sie eine Art Versuch macht , etwas nicht zu verlieren,  aber trotzdem es  verliert, in dem die Melodiephrase am Ende chromatisch geführt wird, das heißt "einen Hauch von Traurigkeit", wie Paul Beckker (Musikwissenschaftler) sagt, beimischt und das Gefühl der Enttäuschung, des Vorbeiseins  des glücklichen Augenblicks sich entwickelt. Besonders deutlich zeigt dies der pathopoetische Halbtonschritt (d-es) in den Hörnern. Die Wendung der Musik von Dur nach Moll und der nachfolgende Rhythmus des Marsches in den Flötenstimmen, der in Schritte übergeht und die Reprise fortsetzt, deuten darauf hin, daß das Leiden und die Traurigkeit wiederkehren (Schritte/Kanon) und daß das Gefühl der Enttäuschung noch größer wird und am Ende dich alleine läßt, indem  die gedämpften Paukenschläge als Signal der stetigen Bewegung dich bis zum Schluß begleiten.

 

Anhand dieses Beispiels lehrt uns Mahlers Musik, mit den schönen Augenblicken des Lebens umzugehen. Trotz Leid und Trauer, die im Leben jedes Menschen vorhanden sind, gibt es glückliche Momente, die leider nicht ewig dauern, aber trotzdem in Erinnerung bleiben. Der Glaube an das Gute, die Hoffnung, die Willenskraft gibt uns die Möglichkeit, das zu finden, was man sucht. Und trotz der schlechten Momente dient die Musik, die wir hören, als Reinigung unserer Seele. Sie ist nicht nur für den Hörer eine Art Therapie, sondern auch für den Komponisten, der diese Musik schrieb und seine Gefühle nicht unterdrückte, sondern in Töne ausdrückte. Es ist nämlich eine hohe Kunst, wenn man  Gefühle oder  Gedanken so ausdrücken kann, daß sie jeder versteht.

 

Vielleicht ist es nicht uninteressant zu erfahren, wann G. Mahler gelebt hat. Was war das für eine Zeit? Unter welchen Bedingungen hat er komponiert und was für ein Mensch war er?

Ich denke, daß man schon aufgrund dieses Stückes viel über G. Mahler aussagen kann. Er war ein Mensch, der in seinem Leben viel gelitten hat, aufgrund der nicht wenigen Trauerfälle in seiner Familie. Insbesondere der frühe Tod seiner Eltern (1889), der den jungen Gustav  Mahler sehr traf. Seine liebevolle, gutmütige Mutter hat er über alles geliebt und es fiel ihm sehr schwer, sich von ihr zu verabschieden. Ich habe nicht ohne Grund das Jahr 1889 in die Klammer gesetzt, denn dieses Jahr war der Ausgangspunkt der ersten  Symphonie. 

Wie wir gehört haben, gab es in der Musik ständige Wechsel von einer traurigen Stimmung in eine lustige tanzartige Musik, wobei das Gefühl der Traurigkeit immer vorhanden ist. Es ist einer der vielen Charakterzüge Mahlers, der sich in der Musik abbildete. Man bezeichnete ihn als „Engel und Teufel zugleich“.

 

Mahler als Dirigent und als Komponist:

Das Dirigieren sah er als Pflicht, als finanzielle Grundlage für das Überleben. Er hat wie viele andere als Kapellmeister angefangen, aber dann in kurzer Zeit die Position des Direktors an der Wiener Hofoper erreicht.

Erwähnenswert ist, daß seine Kindheit vom Judentum geprägt war, er sich aber später (mit 37Jahren) dem Christentum zuwandte. Antisemitismus war auch in den Ländern der Donaumonarchie wie Österreich, Ungarn verbreitet. Es war für Mahler nicht einfach,  seinen Lebensunterhalt zu verdienen, denn es gab immer wieder Leute/Journalisten, denen der Erfolg Mahlers nicht gefiel und die in den öffentlichen Zeitungen folgende Überschriften wie "Die Judenherrschaft in der Wiener Oper" veröffentlichten. Manche Juden bekamen aufgrund ihrer Nationalität, ihrer Andersgläubigkeit keine Stelle in ihrem Beruf.

Die andere Seite des Komponisten war seine kindliche, naive, sensible Natur. Er liebte die Natur, verbrachte viel Zeit an idyllisch gelegenen Orten in Österreich. Die einzige Zeit zum Komponieren waren die Sommermonate, in denen er in seinem "Komponierhäuschen" die Inspiration, die ihm durch seine Umgebung (Natur) kam, in feste  kompositorische Formen goß.

Mahler war ein Mensch, der seinen eigenen Lebensweg gefunden hat und nicht unbedingt auf den persönlichen Erfolg angewiesen war. Er hatte viele Bewunderer wie Schönberg oder Webern, die seine ethische Gesinnung, seine Bereitschaft, für eine Kunst zu leiden, schätzten und ihn als "Heiligen" bezeichneten.

 

 

 

 

 

 

Realität oder Traumwelt?

Was bedeutet Frederic Chopins Traurigkeitsgestus

in der „Fantaisie“-Impromptu  op. 66 dem postmodernen Menschen?

 

 

von Jessica deRooy

 

 

Das 19. Jahrhundert -  ein Jahrhundert voller Revolutionen und voller Suche nach Identität. In der Psychologie stand die Analyse der Seele (z.B. S. Freund) an erster Stelle. Chopin, eine slawische Seele, ein sehr gefühlsbetonter Mensch, war gar nicht so geeignet für ein so gewaltiges Jahrhundert. Er drückte seine Sensibilität beim Klavierspielen aus. Für den Romantiker fast nur das Klavier, denn die Qualität seiner Klavierkompositionen, auf die er sich spezialisiert, aber nicht beschränkt hatte, konnte man mit symphonisch-orchestralen Werken vergleichen. Der großartige Pianist konnte sich beim Klavierspielen völlig ausleben und das Orchester nach seinen Empfindungen dabei ersetzen. Die introvertierte Person, sehr scheu vor der Öffentlichkeit, lebte von 1810-1849. Chopin war voller Leidenschaft. In seinen späteren Kompositionen bemerkt man fast immer den Traurigkeits-Gestus, den ich anhand eines Musikbeispiels erklären möchte. „Fantaisie-Impromptu“, das Impromptu Nr.3, op.66 entstand in Chopins Reifezeit. Er war erst 24 Jahre alt, konnte sich jedoch schon völlig musikalisch entfalten. Es war eines seiner Lieblingsstücke, die er nicht zur Veröffentlichung preisgegeben hatte. Erst nach seinem Tode hörte man davon und heutzutage ist es ein sehr bekanntes und beliebtes Stück geworden. Chopin hatte seinen eigenen Stil; er ließ sich kaum von anderen Musikern beeinflussen. Seine Virtuosität verzierte die eigentlichen Melodien und zeigten zugleich die unglaubliche Begabung des Komponisten. Er hatte sicher nicht die Absicht, technisch schwere Stücke zu komponieren, denn er schrieb seine Werke so nieder, wie sie ihm zuerst einfielen. Der Perfektionist korrigierte seine Noten Monate lang und entschloss sich dann doch für die erste spontane Version, da sie einfach am besten war. Aber jetzt zurück zum „Fantaisie-Impromptu“: Das Stück ist in drei Teile aufgeteilt; es hat die Form A-B-A. Nach der Introduktion beginnt der A-Teil in cis-moll: das schnelle allegro agitato-Thema vermittelt aufgrund der verschiedenen parallel laufenden Rhythmuskombinationen eine gewisse Spannung, denn die Sechzehntel-Noten der Melodie im 4/4-Takt werden von Sechstolen im Bass begleitet. Die virtuose Melodie fließt danach durch die vielen Verschmückungen wie ein Wasserfall in einen Traumsee. Diese dramatischen, meistens abwärtsgerichteten Läufe in kleinen Tonschritten beschreiben meiner Meinung nach den Alltag der gnadenlosen Realität. Trotz des schnelleren Tempos vermittelt dieser Teil ein Gefühl von Traurigkeit.

Die Suche nach der Freiheit bemerke ich in dem  B-Teil. Von einem Wasserfall in einen Traumsee – von der Realität in die Traumwelt! Das langsame Thema (moderato cantabile) ist in des-Dur komponiert. Die einfache Melodie wird sehr frei gespielt (Tempo Rubato) und schwebt auf der Begleitung. Das Schema der Sechstolen-Begleitung wird beibehalten und gibt den Takt an. Diese Arpeggioläufe bilden ästhetisch gesehen für mich die Welle eines ruhigen Sees. Hat dies vielleicht mit den „mazurischen Seen“ zu tun? Die Visualisierung musikalischen Ausdrucks, man würde es heute auch als Filmmusik bezeichnen, könnte natürlich auch eine wunderschöne Landschaft oder ähnliches sein. Aber das Thema vermittelt auf jeden Fall eine Traumvorstellung. Die Suche nach Ruhe und Entspannung, Freiheit oder Befreiung empfinde ich beim Spielen der schwebenden Melodie auf der wellenartigen Begleitung.

Diese Traumwelt ist jedoch von der Realität gefangen, denn der A-Teil löst den B-Teil ab und endet sehr dramatisch. Der Kontrast der zwei Themen wird in den letzten Takten des Stückes noch mehr vorgehoben, denn das A-Thema des B-Teils wird von der Bassstimme gespielt und diesmal von der dramatischen Begleitung in der Violinstimme unterdrückt. Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit überfällt mich dabei. Chopin sieht keinen Ausweg, aber er hat in  seinem tiefsten Inneren immer noch die Vorstellung einer Traumwelt. Ist es die Krankheit , die ihn die ganze Zeit verfolgte und die ihn zu so einem traurigen, pessimistischen Menschen gemacht hat?

Er hatte eine sehr eigene Art, die sich von anderen Virtuosen unterschied. Chopin verwendete die Virtuosität ohne Aggressionen. Manche Kritiker bezeichneten sie als „fehlende Muskelspannung“, aber das, scheint mir, ist völliger Unsinn. Chopin war eine zurückhaltende, elegante, feine und leidenschaftliche Person, die nur in Elite-Kreisen verkehrte. Auf Bildern wirkt er auf mich ein wenig feminin. Überraschender Weise wählte er eine sehr starke Partnerin mit einem männlichen Namen: George Sand. Sie war das Gegenteil von Chopin. Er hatte es nicht nötig, seine Stärke in der Musik zu zeigen. Er war leidenschaftlich, ohne Aggressionen zu zeigen und genau das fasziniert mich so sehr an seiner Musik. War der Grund dafür seine feminine Ader? Ich will auf keinen Fall ein Vorurteil (wegen „feminin“) in die Welt setzen, aber alle anderen zu der Zeit lebenden Virtuosen waren meist aggressiver in ihren Werken. Bemerkenswert ist auch, dass Chopin es geschafft hat, seinen Charakter (z.B. Zurückhaltung) und seine Eleganz (z.B. Eleganz) in der Musik zum Ausdruck zu bringen.

Wenn ich Chopin und seine Musik auf uns „postmoderne“ Menschen beziehe, kann ich mich selbst als bestes Beispiel nehmen. Psychologisch gesehen habe ich mich schon immer instinktiv mit der Ästhetik der Romantik identifiziert. Ich verbinde mit Leidenschaft eine Art von Streit und Versöhnung zugleich und empfinde Liebe zwar als etwas Schönes, aber meistens auch als etwas Trauriges. Vielleicht liegt es an meinem Alter oder meiner Umgebung, wenn heutzutage zum Beispiel auf Partys nur aggressive Musik (Techno, Dance, Hip Hop...) gespielt wird. Die Menschen empfinden dies als Freude. Ich dagegen sehe beim Klavierspielen, Komponieren oder in Chopins Werken den Ausgleich. Genau deshalb habe ich mir Chopin, den ich schon seit  mehreren Jahren verehre, ausgesucht. Nach intensiver Arbeit und Auseinandersetzung mit seiner Musik habe ich viele Ähnlichkeiten entdeckt. Seit meinem 9. Lebensjahr habe ich oft versucht, im virtuosen Stil zu komponieren. Ich verziere gerne die Melodien und verwende zugleich eine regelmäßige Begleitung, die den Takt vorgibt. Dieser unbewusste Vorgang wurde mir jetzt deutlicher. Auch diese verschiedenen Rhythmuskombinationen, die im „Fantaisie-Impromptu“ parallel laufen, sind auch meine Art und Weise, Spannung aufzubringen.

Beim Spielen von Chopins Stücken kann ich (genau wie bei eigenen Kompositionen) meine Probleme vergessen. Diese Leidenschaft lässt mir die Chance, mich beim Klavierspielen wohl zu fühlen. Man begibt sich in eine „Traumwelt“, in der man sich von den alltäglichen Problemen löst. Ich glaube, genau das hat Chopin mit dem Impromtu aussagen wollen.

Als Praktizierende und Zuhörerin empfinde ich seine Musik als der Traum des schönen Lebens. Zumindest hat meine ästhetische Identifikation, der Prozess, in dem ich mich befinde, dieses Ergebnis aufgewiesen. Genau wie Chopin suche ich in meinen Kompositionen den Weg zur Freiheit. Ich liebe Filmmusik – visuelle Musik! Unter Verwendung meiner Phantasie gelange ich in diese Träume ( Film - unreell!) und vermittle Freiheit durch z.B. ein Tempo Rubato in der Musik. Das reelle Leben – die Realität - finde ich sehr traurig, deshalb flüchte ich in die Musik, wo ich mich davon befreien kann – auch wenn es nur für einzelne Momente ist.

Was ich jedoch abschreckend an Chopins Musik finde, ist, dass die Traurigkeit gegen Ende nie zur Hoffnung führt. Im Gegensatz zu Chopin habe ich noch Hoffnung auf ein schönes Leben. Chopin dagegen beendet seine Werke meistens mit voller Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Ist seine Krankheit dafür der Grund? Irgendetwas wird es wohl sein, denn er kennt ja trotzdem die Vorstellung des „Schönen“! Meiner Meinung ist der Gestus des Traurigen sehr stark in Chopins Musik erkennbar. Er sucht zwar nach Freiheit, weiß jedoch, dass es keinen Ausweg geben wird. Deshalb kann man eigentlich sagen, Chopins Traumwelt liegt in seiner Musik, auch wenn sie von der Realität gefangen ist. Diese Ergebnis erschließe ich aus meiner eigenen ästhetischen Identifikation durch subjektive Wahrnehmung der Musik von F. Chopin und intensiver Auseinandersetzung seiner Biographie.

 

                                                                                                           

 

 

 

 

HAT ER ES GEFUNDEN?

Karol Szymanowskis orientalische Suche

nach dem Polnischen in op. 26

 

 

von Eva Maria Zuhmann

 

 

Stets war Karol Szymanowski (1882-1937) auf der Suche. Schon in frühen Jahren hat er sich das Ziel gesetzt, dem Heimatland Polen eine neue musikalische Identität zu geben. Polens Musik hatte nach dem Tod Chopins keine Reformation erlebt und stand daher zu Szymanowskis Lebzeiten ganz unten auf der Liste der europäischen Musik. Szymanowski gilt in Polen als ,,der Größte nach Chopin" und das hat folgenden Grund: Er hatte nichts, auf das er sich beziehen konnte, außer Chopin. Daher orientierte er sich vorerst an anderen europäischen Komponisten und vor allem an Komponisten wie Richard Wagner und an denen, die die Wiener Klassik prägten. Diese Phase  des Komponisten  bezeichnet man  auch  als  die  erste Schaffensperiode. Szymanowski, der darin keine Erfüllung seines Ziels sah, unternahm weite Reisen, z.B. nach Sizilien, Italien, Nordafrika und in den Orient. Die dort gewonnenen Eindrücke verarbeitete er geschickt in seinen Werken. Das soll nicht heißen, daß Szymanowski einer jener war, der sich fremde Melodien zu eigen machte; er achtete lediglich und besonders auf die Stimmungen, die erzeugt wurden, die ihn so mitrissen und faszinierten. Genau diese versuchte er in seinen Werken hervorzurufen und dem Hörer so das sichtbar zu machen, was sich in seinem Geist befand.

Szymanowski liebte das Schöne, das Ausdrucksvolle, das Sinnliche, das Stimmungshaltige. Nicht zuletzt deswegen interessierte er sich sehr für die Literatur und Poetik. Er nahm begierig jedes Wort auf und ließ es auf sich wirken. Als Szymanowski in der Wiener Hofbibliothek die Hafis-Nachdichtungen von Hans Bethge fand, berauschte er sich an den Versen und schrieb 1911 einem Freund: ,,Von meinem Hafis bin ich unheimlich ergriffen. Allah selbst hat ihn mir gesandt. Ich meine, es sind ideale Texte." Und an einen anderen engen Freund, mit dem er oft auf Reisen war, schrieb er: ,,Du ahnst nicht, mit welcher Befriedigung ich daran arbeite." Die orientalischen, exotischen Themen inspirierten ihn, und er erschaffte den Liederzyklus ,,Des Hafis Liebeslieder", op.6.

Nun will ich nicht behaupten, daß er in dieser Phase, die durch die vielen Reisen und fremdländischen Eindrücke geprägt ist, seiner zweiten Schaffensperiode das Polnische erschaffen hat, aber es war ein bedeutender Schritt, der ihn auch im weiteren Verlauf seiner Komponistenkarriere begleiten sollte.

 

Das Leiden Szymanowskis - die ewige Suche nach etwas, was für ganz Polen bestimmt sein sollte, war auch mit viel Leid verbunden. Seine Musik klang für die damaligen ,,chopinschen" Ohren zu modern, fortgeschritten und fremd. Szymanowski hatte viele Feinde, Gegner, die gegen ihn arbeiteten. Meiner Meinung nach verspürte er deswegen viel Frust und Leid, was sich auch in den Kompositionen widerspiegelt, was wir jedoch gleich noch sehen werden.

Leid verspürte er jedoch nicht nur psychisch, sondern auch physisch. Er litt in der Kindheit an Knochentuberkulose. In späteren Jahren folgte Lungentuberkulose, und kurz vor seinem Tod litt er an Kehlkopf-Tuberkulose' was schließlich auch seinen Tod hervorrief Bekannt ist, daß körperliches Leiden sich unmittelbar auf die Psyche überträgt!

Als dritter Aspekt zum Thema Leiden bei Karol Szymanowski kommt hinzu, daß er homosexuell war und damit offensichtlich (er hatte niemals? wahrscheinlich! (k)eine Frau oder Geliebte) nicht klar kam.

Mit dem Abschnitt ,,Das Leiden Szymanowskis" will ich folgendes bezwecken:

Trotz des Titels, der in erster Linie auf das Suchen anspielt und zweitens etwas über den Orient andeutet, soll nicht vergessen oder übersehen! werden, daß das Suchen in dieser Situation auch immer etwas mit Leiden zu tun hat. Auf Szymanowski bezogen bedeutet dies, daß man in den Werken diesen Kernpunkt oder Grundgestus des Suchens verbunden mit Leid wiederfinden kann.

Kommen wir nun zurück auf den Orient, Hafis und ,,Die Liebeslieder des Hafis". Szymanowski hat die Verse als Grundlage - nicht als Grundmaterial! -genommen, hat die exotische, sehnsüchtige Stimmung in sich aufgesogen und auf die Musik übertragen.

Als Beispiel soll uns das letzte Lied des Liederzyklus ,,Das Grab des Hafis" dienen. Hier die deutsche Übersetzung:

 

Das Grab des Hafis

 

Vor den Mauern von Schiras

Liegt das schöne Mosella,

Dort ist Hafis begraben.

 

An keinem Ort in Persien

Flöten die Nachtigallen

So märchensüß wie da.

 

Seltsam, die Blumen duften

Auf dem Grab des Hafi 5

Ganz anders als sonst im Land.

 

Sie riechen festlich und freudig,

Die Sinne so fein berauschend,

Das ist kein Duft nach Blumen,

 

Das ist ein süßer Weinduft...

 

Um die Suche und Trauer in einem exemplarischen Beispiel darzulegen, ist es nicht unbedingt erforderlich, die Übersetzung zu kennen, aber um sich eine Vorstellung zu machen, welche Stimmung Szymanowski auf die Musik übertragen hat, ist es sehr interessant.

Das folgende Zitat von Iwaszkiewicz', einem guten Freund, soll dies noch ein bißchen deutlicher machen: Die ,,Liebeslieder von Hafis" gehören zu jenen Werken Szymanowskis, die ,,viel barocke Verschnörkelungen haben, nach Moschus duften und schwül sind, obwohl schön". Auf der Vor- und Rückseite sind einige Auszüge des Liedes ,,Das Grab des Hafis". Die musikalische Struktur basiert hauptsächlich auf vier Motiven. Sie treten fast durchgehend auf und variieren häufig. Motiv a ist eine in sich kreisende Melodie, bestehend aus fünf Tönen: fis, g, es, d und gis. Das Motiv bewegt sich in einem Umfang von einer Quarte und erklingt häufig zweimal hintereinander. Durch die Intervallstruktur, die aus Halbtonschritten und übermäßigen Sekunden besteht, wirkt das Motiv orientalisch.

Das zweite Motiv finden wir in der Klavierstimme im zweiten Takt. Es ist eine rasche Aufwärtsbewegung über zwei Oktaven mit einem Oktavtremolo. Es besteht aus Quinten, Sekunden und zwei Tritoni. Das Motiv ist in zwei Teile gegliedert, wobei der zweite Teil aus dem Oktavtremolo besteht, der im Verlauf des Stücks oft selbständig erscheint.

Das dritte Motiv erscheint schließlich in dem Klavierpart in Takt 10. Es handelt sich hierbei wieder um eine rasche Aufwärtsbewegung, diesmal im Umfang einer Oktave mit sofortiger, gleichfalls rascher Aufwärtsbewegung. Es wird mehrmals variiert, wobei sich auch die Intervallstrnktur ändern kann.

Im selben Takt, wo Motiv c zum erstenmal erscheint, tritt Motiv d ins Bild. Bedeutend für dieses ist die Chromatik und der geringe Tonumfang, in dem sich dieses abspielt.

Alle diese Motive kommen in den Takten 11 und 12 zusammen und bilden so einen der vielen Höhepunkte, die wiederum einen Ober-Höhepunkt ziemlich weit am Ende haben. Jedes dieser Motive ist in sich geschlossen, knapp und aufgrund der Insichgeschlossenheit nicht beliebig entwickelbar, sondern nur variierbar. Mit denselben Motiven wie das Stück beginnt, so endet es auch. Auffallend ist auch, daß es mit einer Fermate beginnt und endet. Fermaten spielen ohnehin eine große Rolle: Sie geben dem Hörer ein Gefühl des Schwebenden, Zeitlosen. Nicht zuletzt wegen der Gestaltung des Tempos kommt der Hörer in einen Gefühlszustand des Schwebenden. Denn durch die ständigen Tempowechsel, zum Teil schon nach jedem Takt, gelingt es dem Hörer nicht, einen oder mehrere Schwerpunkte zu setzen. Er wird davon gesogen und in eine Schwerelosigkeit versetzt.

Meiner Meinung nach hat das Schwebende auch mit dem Suchen zu tun. Denn wenn ich auf der Suche bin, habe ich nichts anderes im Sinn, als das zu Suchende auch zu finden. Genau wie Szymanowski würde auch ich nicht aufhören zu suchen, bis ich es gefunden habe. Weiterhin drückt das Schwebende eine Art von Distanz aus, obwohl ich das nicht verallgemeinern möchte. Mich reißt die Musik jedenfalls mit, da ich keine Distanz verspüre. Jedoch läßt sich nicht jeder Hörer gleichsam auf die Musik ein wie ich. Während meines Referatvortrages machte ich die Erfahrung, daß die Musik Szymanowskis nicht ernst genommen wurde. Eine Stimmung von Trauer, Bedrängtheit, Leiden wurde wohl durch die vielen vorhandenen Dissonanzen, die Ruhe des Stückes, die orientalischen Ornamente, die Dynamik erzeugt, aber man ist nicht weitergegangen und hat sich in diese Trauer und Suche hineinziehen lassen. Vielleicht fällt mir das gerade deshalb so leicht, weil ich mich mit einigen Punkten seines Lebens identifizieren kann:

Szymanowski war ein ruhiger, ausgewogener Mensch; er liebte Individuen, er haßte unbeherrschte Gefühlsausbrüche, die, wie er sagte, oft in den slawischen Kulturen anzutreffen seien. Er hat früh schon den Gefühlszustand kennengelernt und sich gern von der Poesie beeinflussen lassen. Auch ich habe früh Bekanntschaft mit Leid gemacht, sei es durch Tod von Verwandten, Freunden oder Kindern oder durch Familienschicksale.

Meine erste Begegnung mit Szymanowski hatte ich durch den Fernseher. Ursprünglich wollte ich ein Konzert von Bart6k sehen, dann frühstücken und anschließend Beethoven sehen, aber nach dem Ende von Barto'k folgte unerwartet der Anfang des ,,Lied der Nacht" von Karol Szymanowski. Das Lied, welches noch mit der Stimmung entsprechenden Bildern unterlegt war, hat mich so in den Bann gezogen, daß ich mich weiter mit Szymanowski beschäftigt habe. Parallelen, wie die unermüdliche Suche und das Nichtaufgeben haben mich.überzeugt

Warum Szymanowski nicht in weiteren Kreisen bekannt ist, ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß nach seiner Schaffensperiode der zweite Weltkrieg wütete und Musik in den Hintergrund geriet. Nach dem Krieg galten selbst die ungehörten Komponisten als klassisch und ihre Werke wurden zur Seite gelegt. Heute, in unserer aufgeklärten virtuellen Zeit fängt man wieder an, sich mit den ,,Alten" zu beschäftigen und entdeckt Kompositionen, die neue Eindrücke über die damalige Zeit verschaffen. Man weiß viel über die Rezeption des Menschen, über die inneren Prozesse und darüber, daß die gehörte Musik auch immer mit einem .selbst zu tun. hat. Ich für meinen Teil kann  starke Parallelen aufweisen und. deuten und bin nach wie vor von Szynanowski fasziniert.

Abschließend möchte ich für mich die im Titel gestellte Frage beantworten, ob Szymanowski gefunden hat, wonach er suchte: Ich glaube - ja. Obwohl ich überwiegend auf die zweite Schaffensperiode eingegangen bin, bin ich der Meinung, daß er in der dritten Schaffensperiode, die dem Volkstümlichen gewidmet ist, gefunden hat, wonach er suchte. Er hat Polen eine neue musikalische Identität gegeben und mir meine teilweise klargemacht

 

 

 

 

Verachtet - Verehrt?

Leben im Konflikt der Zeitgeschichte

 

Der Komponist Schostakowitsch in seiner 5. Sinfonie:

Überleben durch versteckte Abwehr?

 

 

von Susanne Herrmann

 

 

Der Komponist Dimitri Dimitrijewitsch Schostakowitsch lebte im zwanzigsten Jahrhundert (von 1906-1975) und er scheint mit seiner Musik doch nicht ganz zu anderen europäischen Komponisten zu gehören. Im Mittelpunkt seines Lebens stand immer der Konflikt in mehrfacher Hinsicht Sein Leben wurde von der politischen Situation der Sowjetunion eindeutig beeinflußt. Komponisten hatten es in dieser Zeit schwer, ihre eigenen Ideen umsetzen, vielmehr umsetzen zu können. Unter dem Regime Stalins sollten auch die Künstler und Musiker bei der Umsetzung seiner politischen Ziele einbezogen werden. Den Komponisten wurden daher im sogenannten ,,sozialistischen Realismus" Bestimmungen auferlegt, die sie erfüllten, sonst drohte ihnen, vor dem Komponistenverband angeklagt zu werden. Ihre Werke sollten z.B. ein soziales Thema haben, das Volk durch einen folkloristischen Charakter ansprechen Wer sich von westlichen  (europäischen, amerikanischen ) Tendenzen, die in dieser Zeit aufkamen, beeinflussen ließ, wurde der Dekadenz ( sittlicher Verfall ) und des Formalismus ( zu stark betonte Form ) beschuldigt. Diese Beschuldigung war fast mit einem Todesurteil gleichzusetzen, da der ,,geächtete Komponist“ damit fürchten mußte, politisch verfolgt zu werden.

 

Die Konfliktsituation, in der er ständig lebte , kann man in einer seiner bekanntesten Sinfonien gut nachvollziehen. Am Beispiel seiner 5. Sinfonie wird deutlich, daß er in dieser das Gegensätzliche  zum Ausdruck bringt . Die 5. Sinfonie entstand in einer Krisenzeit des Komponisten. Schostakowitsch schrieb diese Sinfonie im Jahr 1937 in einer extrem kurzen Zeit vom 18. April bis 20. Juli, wobei er den 3. Satz sogar in nur 3 Tagen schrieb. Die Uraufführung fand dann schon am 21. November 1937 in Leningrad statt und war erfolgreich .Diese extrem kurze Entstehungsphase ist auffällig! Das Werk scheint unter Zeitdruck geschrieben worden zu sein , sodaß der Eindruck entsteht, die 5. Sinfonie könnte vielleicht eine bestimmte Funktion erfüllt haben.

Im zeitgeschichtlichen Zusammenhang bedeutet das Jahr 1936 für Schostakowitsch einen Einbruch seines bis dahin ungebrochenen Erfolges, da ihm seit seinem Eintritt ins Konservatorium (1919 ) keine übermäßige Kritik entgegengebracht worden war. In diesem Jahr wurde in der „Prawda“ (sowjetische Zeitung) ein redaktioneller Artikel mit dem Titel ,,Chaos statt Musik" abgedruckt, in dem mehrere Komponisten, vor allem Schostakowitsch, heftig kritisiert wurden Die Kritik an Schostakowitsch bezog sich auf seine Oper ,,Lady Macbeth von Mzensk", die schon seit einiger Zeit erfolgreich aufgeführt wurde .Bei diesem Artikel alleine blieb es nicht, denn es wurde in den folgenden Wochen eine weitere Artikelserie abgedruckt. Wie kam es zu der Anklage der Dekadenz und des Formalismus?

 

Der Grund hierfür war, daß Stalin wohl eine der Aufführungen der ,,Lady Macbeth" besuchte und nach der Pause diese sofort verließ. Aufgrund seines Mißfallens wurde die Oper heftig kritisiert. Dieser Schicksalsschlag kam für Schostakowitsch vollkommen unerwartet und muß ihn sehr in Angst versetzt haben, denn in diesen Jahren kamen bei ,,politischen Säuberungen" unzählige Intellektuelle um, auch aus seinem Freundeskreis .Da er mit diesem Artikel von 1936 selber in Ungnade gefallen war, mußte er vorsichtig sein, nicht weiter in Konflikt mit der Regierung zu geraten.

 

In seiner 5. Sinfonie zeigt sich insgesamt in allen 4 Sätzen seine Anspannung und Depressivität, trotzdem gepaart mit einer merkwürdig ironischen Wirkung. Besonders im 2. Satz ( Allegretto ) wird diese Ironie, eine Art ,,grimassenhafter Humor", deutlich. Ironie und düstere Nachdenklichkeit wechseln sich in diesen Sätzen ab. Hauptsächlich im 1. und 3. Satz wird eine depressive, angespannte Stimmung erzeugt. Nach dem ruhigen Largo des 3. Satzes kommt der pompöse Anfangsteil des letzen Satzes (Allegro ma non troppo) mit seinem mächtigen, beinah brutalen und wilden Charakter völlig unerwartet. Diese Apotheose (Verherrlichung) am Anfang zieht sich über ca.. 3 Minuten des Satzes (Gesamtdauer ca. 11 Minuten) hin, bevor ein plötzlicher Stimmungswechsel stattfindet. Nach einem ruhigen, leisen Mittelteil wird im letzten die Anfangsstimmung wieder aufgegriffen , jedoch in veränderter Form. Zunächst beginnt dieser Satz mit einem crescendierten Triller im forte, wonach das 1. Thema im ff von den Blechbläsern vorgestellt wird . Vom Grundrhythmus des 1. Themas ausgehend, der von längeren in kleinere Notenwerte übergeht, erkennt man das charakteristische dieses Teils, das Vorwärtsstrebende. Der Anfang, mit dem von den Blechbläsern unisono gespielten Thema hat etwas Heroisches an sich, das 1. Thema wird wie von einer Fanfare in den Raum geschmettert. Kurz danach wird ein 2. Thema eingeführt, welches von dem bisher vorgestellten Grundgestus (aufsteigen und wieder abfallen ) kaum abweicht. In der Folge werden diese Themen verkürzt oder verändert wieder aufgenommen. Auffällig ist die Dynamik, die fast durchgängig bis zum Mittelteil „f“ bleibt, so besteht die Wirkung der Verherrlichung weiterhin. Ebenso fällt auf, daß ständig mehrer Stimmen unisono denselben Rhythmus spielen. Im Allegro-Teil besteht der Grundrhythmus aus gleichmäßigen Achtelnoten, die allmählich in eine Sechzehntelbewegung umgeändert werden Im piu mosso-Teil steht das ruhige melodiöse 3.Thema im Kontrast zum Grundrhythmus. Von da an wird der Rhythmus in verschiedenen Schritten immer weiter gesteigert, bis der Höhepunkt der Steigerung abrupt in den ruhigen Mittelteil übergeht. Im Mittelteil wird in der Melodie der Rhythmus des 3.Themas weiter beibehalten, wird aber mit der neuen Streicherfigur (Wechselnoten), die aus einer kleinen Sekunde besteht (Achtelbewegung), begleitet. Nach einer kurzen expressiven Phase der Streicher (f) verringert sich die Besetzung bis auf ein Minimum (Solo-Flöte, Klarinette, Oboe, Fagott), so daß eine Art Tiefpunkt erreicht ist, bis von den Streichern allmählich ein neues Motiv, das aus einer abwärtsgerichteten kleinen Sekunde und einer Quarte, später Sexte, Oktave, eingeführt wird, das in der Musik neue Spannung aufbaut. Am Ende mündet der Satz in das wiederaufgenommene, verzerrte Anfangsthema.

 

Durch den starken Gegensatz von heroischer Verherrlichung zu betrübter Nachdenklichkeit bekommt der Hörer den Eindruck, daß diese Gegenüberstellung doch ziemlich übertrieben erscheint. Schostakowitsch überhöht ironisch das Heroische, Pompöse und kehrt dann zu einem unheimlich starken Ruhepunkt zurück , so erscheint der Anfang nicht als ernsthaft gemeint, vielmehr scheint er das pompöse Anfangsgeschehen ins Lächerliche zu ziehen. In seiner 5.Sinfonie scheint der Gegensatz als völlig überspitzt dargestellt.

Im Zusammenhang mit dem Zeitgeschehen von 1936/37 wollte Schostakowitsch sich mit seiner Sinfonie wieder ins rechte Licht setzen, er hatte zuvor seine 4.Sinfonie zurückgezogen, aber in der 5. Sinfonie übertreibt er seine Apotheose so sehr, daß es nicht so erscheint als wolle er sich ernsthaft als einen staatstreuen Komponisten zu erkennen geben. Vielmehr kann man hier sehen, wie er dennoch seinen Stil beibehält und nicht die Erwartungen an ihn richtig erfüllt. Er schreibt zwar ein melodiereiches ausdrucksstarkes Werk, er erzielt aber eigentlich damit ein verzerrtes ironisches Bild. Durch die extremen Kontraste in dieser Sinfonie, kann man auf die Konflikte, die Gefahr und die Angst des Komponisten schließen.

 

Schostakowitsch, der später in seinem Leben viele Ehrungen und Preise für seine Musik erhalten hat, wurde auf der einen Seite als Staatskomponist verehrt, auf der anderen wurde seine Musik, zumindest anfangs, heftig kritisiert. Er erlebte die Macht des Regimes auf zerstörerische Weise und ebenso ihre Macht, die ihn als Vorbild der sowjetischen Musik hervorhob!