Wolfgang Klafki

Kriterien einer guten Schule


1. Zum Stellenwert des Themas

Seit etwa 10 bis 15 Jahren gibt es in der anglo-amerikanischen und der in der bisherigen Bundesrepublik Deutschland laufenden schulpädagogischen Diskussion von Praktikern und Schulforschern einen Schwerpunkt, der wachsendes Interesse findet, nämlich die Frage nach der "guten Schule". Die gleiche Frage wird auch unter dem Stichwort "Schulqualität" bzw. "Qualität von Schule" erörtert. Nun ist das damit umrissene Thema keineswegs umstürzend neu. Wer immer in der Geschichte des pädagogischen Denkens über Schule nachgedacht oder praktisch an der Gestaltung von Schulen gearbeitet hat, der hatte dabei - ausdrücklich oder unausdrücklich - mehr oder minder klare Vorstellungen dessen vor Augen, was er oder sie für eine "gute Schule" hielt. Am deutlichsten wird das stets bei Schulreformern, und so ist denn auch die Geschichte der Reformpädagogik unseres Jahrhunderts, soweit sie sich auf Schule bezieht, eine Geschichte von Vorstellungen über Bedingungen und Faktoren "guter Schulen". Insofern steht die heutige Diskussion um dieses Thema in einer langen Tradition.

Welches aber sind die konkreten, aktuellen Impulse, die in den letzten ein bis anderthalb Jahrzehnten zur Wiederaufnahme und zu den besonderen Akzentsetzungen dieser Diskussion geführt haben? Ich kann hier im wesentlichen nur aus der Perspektive der bisherigen Bundesrepublik sprechen. Ich meine aber, daß das Thema im Kern auf ein internationales Problem zielt. In unserer historischen Epoche, in der die einzelnen Kontinente, Staaten, Gesellschaften, Kulturen immer mehr in einen weltweiten Zusammenhang wechselseitiger Abhängigkeiten und Beziehungen verflochten werden, müssen auch die Kriterien, unter denen wir Schulen beurteilen, in wachsendem Maße gemeinsame Kriterien sein, die allerdings zahlreiche Konkretisierungen zulassen.

Soweit ich sehe, sind für die Diskussion in Deutschland vor allem zwei Gruppen von Anstößen wirksam geworden: Zum einen waren es Impulse aus der amerikanischen und englischen Schulforschung der ausgehenden siebziger und der beginnenden achtziger Jahre. Breite, öffentliche Kritik an den Leistungsmängeln vieler amerikanischer und englischer Schulen, insbesondere amerikanischer Schulen in Großstädten und hier wiederum vor allem in mehr oder minder ausgeprägten Slum-Bezirken führten zur Frage, von welchen Bedingungen es abhängt, wenn Schulen "effective", also "wirkungsvoll", oder im Gegensatz dazu "ineffective" arbeiten. - Eines der übereinstimmenden Ergebnisse solcher Forschungen lautet folgendermaßen: Schulen, die unter weitgehend gleichen oder ähnlichen Rahmenbedingungen arbeiten, also dem gleichen Schultyp zugehören, eine sozial und von den familiären Sozialisations- und Erziehungsvoraussetzungen her ähnlich zusammengesetzte Schülerschaft, ein vergleichbares kommunales Umfeld sowie ähnliche räumliche und sächliche Ausstattungen aufweisen, waren trotzdem sehr unterschiedlich "effective" oder "ineffective". Die Unterschiede können folglich nicht auf die äußeren, die Rahmenbedingungen, also auch nicht direkt etwa auf die Schulorganisationsform zurückgeführt werden, es muß vielmehr schulinterne Gründe geben, Unterschiede darin, was vor allem die Lehrer aus der jeweiligen Schule machen.

Für etliche der amerikanischen und auch manche der englischen Untersuchungen ist es allerdings charakteristisch, daß sie letztlich recht "schlichte" Erfolgskriterien für die Beurteilung zugrundelegen, worin denn nun die Qualität einer guten Schule besteht. Insbesondere bei manchen Untersuchungen über Primary bzw. Elementary Schools ist es der Leitgesichtspunkt, wie weit die Schüler in der Schule die Beherrschung der sogenannten basic skills erlernt haben - frei übersetzt: die elementaren Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und grundlegenden Rechnens. Bei den Untersuchungen über High Schools ist es nicht selten die durch Tests abprüfbare Aneignung traditioneller Unterrichtsinhalte, insbesondere von Kenntnissen, genormten Lösungsverfahren und Techniken.

Wenn nun deutsche Untersuchungen und Diskussionen zur Frage nach der "guten Schule" jenen anglo-amerikanischen Ansätzen Anregungen entnehmen, so geschah das meistens im Bewußtsein der eben angedeuteten Begrenzungen des Fragehorizonts.

Über die Anstöße durch anglo-amerikanische Forschungen hinaus ist für die Forschungs- und Diskussionsentwicklung über Erscheinungsformen und Bedingungen "guter Schulen" noch ein weiterer Impuls wirksam geworden; er hängt mit dem Verlauf und dem schnellen Abklingen der Bildungsreformphase in der Bundesrepublik seit der Mitte der 70er Jahre zusammen.

Der ursprünglichen Absicht nach war die Bildungsreformbewegung der ausgehenden sechziger und der beginnenden siebziger Jahre in der Bundesrepublik auf äußere und innere Schulreform gerichtet. Tatsächlich hat jedoch in vielen der durch die Reform neu geschaffenen oder durch sie veränderten Schulen - nicht zuletzt auch in vielen Gesamtschulen - der Faktor äußerer, organisatorischer Veränderungen das Übergewicht gewonnen, und das öffentliche Interesse, nicht zuletzt die Kritik an der Bildungsreformbewegung bzw. an wichtigen ihrer Elemente hat diese Tendenz verstärkt. Dieser Tatbestand hat dann auch in erheblichem Maße die Schulforschung bestimmt. Ich meine damit vor allem eine Reihe von Vergleichsuntersuchungen, die helfen sollten, die schulpolitische Streitfrage zu entscheiden: Sind integrierende Schulformen, ist besonders die sogenannte "Integrierte Gesamtschule" (analog zur anglo-amerikanischen Comprehensive School) "besser", "erfolgreicher" als das herkömmliche dreigliedrige System der allgemeinbildenden Schulen in Deutschland mit der frühen Trennung von Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen nach dem 4. Schuljahr?

Für unseren Zusammenhang ist nun folgender Sachverhalt entscheidend: Jene deutschen Untersuchungen führten unter anderem zu einem Hauptbefund, den die Schulforscher nicht erwartet hatten; dieser Befund entspricht einem der vorher genannten Resultate anglo-amerikanischer Schulforschung. Auf seinen Kern konzentriert, kann man ihn so formulieren: Die Unterschiedlichkeit einzelner Schulen ist im Hinblick auf kognitive Leistungen, soziales Lernen, Schulzufriedenheit und einige andere Dimensionen innerhalb jedes Schultyps größer als es jene Unterschiede sind, die sich beim Vergleich der durchschnittlichen Resultate der Schulen verschiedener Schultypen ergeben. Das gilt vor allem auch beim Vergleich zwischen Gesamtschulen einerseits und Schulen des dreigliedrigen Schulsystems andererseits. Einer der maßgeblichen Schulforscher der bisherigen Bundesrepublik, Helmut Fend, hat dieses Ergebnis als die Entdeckung bzw. die Wiederentdeckung "der einzelnen Schule als pädagogischer Handlungseinheit" bezeichnet M. a. W.: Das Kollegium einer Schule kann im Zusammenwirken mit Schülern und Eltern pädagogisch Erhebliches bewirken, kann die eigene Schule zu einer "guten Schule" gestalten, "gut" nach dem überwiegenden Urteil der betroffenen Schulleiterinnen und Schulleiter, der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern und der Schüler sowie nach dem Urteil von Forschern.

Im folgenden Abschnitt will ich dieses generelle Ergebnis anglo-amerikanischer und jüngerer deutscher Schulforschung genauer aufschlüsseln.


2. Hauptergebnisse der bisherigen Forschung über Schulqualität

Ich fasse die nach meiner Einschätzung wichtigsten Teilergebnisse zentraler Untersuchungen zur Frage der Schulqualität zusammen. Zunächst muß ich jedoch drei Vorbemerkungen zur methodischen Anlage der Untersuchungen machen.


2.1. Vorbemerkungen zur Methodik der bisherigen Schulqualitätsforschung

1. Die erste Vorbemerkung bezieht sich auf die Frage der Untersuchungsmethoden. An dieser Stelle muß ich Sie bitten, eine starke Verkürzung in Kauf zu nehmen; es ist hier nicht möglich, genauer auf diese Frage einzugehen. Ich beschränke mich darauf mitzuteilen, daß man in den einschlägigen Untersuchungen auf drei methodische Grundtypen stößt:

Zum Teil sind zwei oder alle drei dieser Methodenansätze miteinander kombiniert worden.

Ich gehe im folgenden davon aus, daß die auf diesen unterschiedlichen Wegen gewonnenen Resultate in hinreichendem Grade miteinander vergleichbar sind, sich wechselseitig ergänzen oder stützen, sofern man dabei genügend vorsichtig interpretiert und sich insgesamt der Vorläufigkeit des bisher erreichten Forschungsstandes bewußt bleibt.

2. Die Schulen, die in den hier berücksichtigten Untersuchungen erforscht wurden, sind insgesamt Normalschulen, vorwiegend in staatlicher Trägerschaft, jedenfalls keine Versuchsschulen, die unter Sonderbedingungen arbeiten.

3. Es ist ein wichtiges Charakteristikum der hier vor allem berücksichtigten Studien, daß es ihnen nicht um den vorgreifenden Entwurf einer idealen Schule, wie sie sein sollte, geht, sondern um die Klärung von Qualitätsunterschieden, die sich in der heute vorfindlichen "normalen" Schulwirklichkeit bzw. in ihrer Einschätzung durch die unmittelbar Betroffenen bereits zeigen.


2.2. Untersuchungsergebnisse im Überblick

Die Hauptresultate lassen sich in acht Faktorengruppen zusammenfassen, ohne daß diese Gruppen immer trennscharf gegeneinander abgegrenzt werden können. - Ich werde im folgenden immer nur von den beiden Extrempolen sprechen, nämlich von den als "gut" eingeschätzten Schulen im Kontrast zu den als "schlecht" eingeschätzten Schulen. Die Mehrzahl der untersuchten Schulen liegt erwartungsgemäß irgendwo zwischen diesen Polen. Diesen Sachverhalt brauche ich im folgenden aber nicht ständig ausdrücklich in Erinnerung zu rufen.


2.2.1. Pädagogische Einstellung des Kollegiums einer Schule bzw. der Mehrheit eines Kollegiums

Dieser Faktorengruppe kommt offenbar eine besondere Bedeutung zu. Sie scheint grundlegend für alle oder viele der später zu nennenden Faktorengruppen zu sein: Ob eine Schule als "gut" eingeschätzt wird, hängt in besonderem Maße davon ab, ob ein Kollegium eine vorwiegend positive Einstellung zu Kindern und Jugendlichen hat. Diese Einstellung drückt sich insbesondere in folgenden Formen aus:

  1. Die Lehrer haben eher optimistische Erwartungen hinsichtlich der Fähigkeiten und des schulischen Weiterkommens sowie der vermutlichen späteren persönlichen und beruflichen Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler, anders formuliert: sie nehmen ihre Schüler ernst, in ihren Stärken und Interessen, aber auch in ihren Schwierigkeiten. Lehrerinnen und Lehrer "guter Schulen" wissen sich für die schulische Entwicklung ihrer Schüler in hohem Maße verantwortlich. Schwierigkeiten, geringe Erfolge oder Mißerfolge ihrer Schüler werden nicht resignativ als unüberwindbar angesehen, mit negativen außerschulischen Sozialisations- und Erziehungsbedingungen begründet bzw. als Folge von Intelligenz- oder Charaktermängeln der Schüler erklärt, die die Schule angeblich nicht zu beheben vermag.

  2. Lehrer trauen ihren Schülern etwas zu, sie konfrontieren sie durchaus mit Erwartungen und Anforderungen, dies aber nicht in Formen psychischen Drucks, durch direkte oder indirekte Androhung von Sanktionen, sondern so, daß Schüler solche Anforderungen und Erwartungen mindestens in der Mehrzahl der Fälle als begründeten Anspruch, als Förderungsmöglichkeiten ihrer eigenen Entwicklung erfahren können.

  3. Lehrer guter Schulen richten ihr Augenmerk in mindestens gleichem Umfang auf die leistungsstärkeren wie auch auf die leistungsschwächeren Schüler, und sie versuchen, die Förderung der Schwächeren möglichst zu einem Anliegen aller Schüler der betreffenden Lerngruppe werden zu lassen, etwa im Sinne des Mottos: Wir alle sind in dieser Gruppe dafür mitverantwortlich, daß alle mindestens einen Grundbestand an Lernzielen erreichen.

  4. Lehrer guter Schulen sind - im Kontrast zu Lehrern "schlechter Schulen" - offen und eher bereit zu persönlichen Gesprächen mit Schülern. Das können Gespräche sein, in denen Lehrer Anteilnahme an positiven persönlichen Entwicklungen der Jugendlichen bekunden, aber auch Gespräche über Schwierigkeiten von Schülern.

  5. Lehrer "guter Schulen" sind mehrheitlich - in der Konsequenz der vorher genannten Einstellungsfaktoren - bereit, ihre eigene Arbeit immer wieder selbstkritisch zu prüfen und sie mit anderen zu erörtern.

2.2.2. Der Grad an Zielübereinstimmung in einem Lehrerkollegium und der Grad an Kooperation.

Hier sind zwei Teilergebnisse hervorzuheben:

  1. In Schulen, die als "gut" eingeschätzt werden, besteht bei allen oder der Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen einschließlich der Schulleiterin bzw. des Schulleiters weitgehende oder hinreichende Übereinstimmung hinsichtlich grundlegender Zielsetzungen einer Schule und hinsichtlich der Bedingungen, unter denen es aussichtsreich erscheint, sich solchen Zielen annähern zu können. Genauer formuliert muß man sagen: Es wird im Kollegium relativ kontinuierlich daran gearbeitet, solchen Konsens immer wieder argumentativ zu erreichen, und d. h. zugleich: die Zielsetzungen der Schule und die Inhalte und Formen ihrer Verwirklichung gemeinsam weiterzuentwickeln.

    Eher schlecht eingeschätzte Schulen sind dagegen häufig durch tiefgehende Auffassungsunterschiede hinsichtlich der Zielsetzungen und der Realisierungsbedingungen gekennzeichnet. Das gilt - um einfache Beispiele zu wählen - etwa hinsichtlich der Bedeutung bestimmter Regeln für Schulleben und Unterricht, die als verbindlich gelten sollen, hinsichtlich der Hausaufgabenpraxis usf.

  2. Der eben genannte Gesichtspunkt der hohen oder doch hinreichenden Zielübereinstimmung - im Gegensatz zum Zieldissens - führt unmittelbar weiter zu einem eng damit zusammenhängenden Teilfaktor: "Gute Schulen" weisen meistens einen ausgeprägten Grad von Kommunikation und Kooperation im Gesamtkollegium und in Teilgruppen auf, und das Gegenteil ist fast durchgehend eines der Charakteristika "schlechter Schulen". Dabei spielen zum einen formell geregelte Kommunikation und Kooperation - vor allem in Gesamt- oder Teilkonferenzen (z. B. Fachgruppenkonferenzen) - und zum anderen informelle Kommunikations- und Kooperationsformen eine Rolle.

2.2.3. Schulinterne Lehrerfortbildung

Wo Schulen von den Beteiligten als "gut" beurteilt werden, haben sich meistens - in größerem oder geringerem Ausmaß - systematische Formen der Fortbildung des Kollegiums herausgebildet, sei es als Bestandteil regelmäßiger Konferenzen, sei es in der Form von "Pädagogischen Tagen" der betreffenden Schule bzw. des Kollegiums o. ä. Dabei zeichnen sich zwei Bedingungen als wesentlich ab, und diese Erkenntnisse stimmen mit Einsichten über fruchtbare Formen von Lehrerfortbildung überein, die in anderen Zusammenhängen gewonnen worden sind:

Erstens: Die schulinterne Fortbildung eines Kollegiums, die natürlich gemeinsame Veranstaltungen mit Kollegien anderer Schulen nicht ausschließt, muß ein hinreichendes Maß an Regelmäßigkeit haben und allen oder der Mehrzahl der Beteiligten die Erfahrung eines individuellen und kollegialen Fortschritts ermöglichen. Es muß also Kontinuität der Arbeit an bestimmten pädagogischen Problemen gewährleistet sein, sei es nun z. B. die Disziplinfrage im Unterricht oder die Hausaufgabenpraxis oder die Klärung und Verwirklichung übergreifender Prinzipien wie etwa der Entwicklung der Fähigkeit der Schüler zur Selbststeuerung ihrer Lernprozesse usf.

Zweitens: Inhaltliches Zentrum einer solchen Fortbildung müssen die konkreten Probleme dieser Schule, dieses Kollegiums sein, wenn sie von den Lehrerinnen und Lehrern als hilfreich für ihre Alltagsarbeit erfahren werden sollen.


2.2.4. Schulleben

"Gute Schulen" sind nach den Resultaten der bisherigen Forschung nicht nur "gute Unterrichtsanstalten", sondern es gibt in ihnen über den Unterricht hinaus ein mehr oder minder großes Repertoire von besonderen Erfahrungs- und Handlungselementen, die von den Betroffenen - den Schülern, den Lehrern, den Eltern, ggf. auch von der an der Schule interessierten Öffentlichkeit - als bedeutsam wahrgenommen werden: Schulfeste, außercurriculare Wahlangebote sportlicher, künstlerischer, technisch-gestaltender, wissenschaftlicher Art, Spielangebote, freie Kommunikationsmöglichkeiten im Schulgelände, Schulzeitungen, außerunterrichtliche Projekte, lebendige und ggf. veränderbare Schultraditionen usw., also das, was wir in der deutschen Pädagogik im Begriff des "Schullebens" zusammenfassen. Hier - wie hinsichtlich anderer, bereits genannter oder noch zu nennender Faktoren - leuchtet unmittelbar der Zusammenhang mit dem unter 2.1. genannten Faktorenkomplex ein: Ohne ein erhebliches Maß von pädagogischem Engagement eines Kollegiums, ohne das Interesse von Lehrerinnen und Lehrern an kindlicher und jugendlicher Persönlichkeitsentwicklung auch über die Dimension des Unterrichts hinaus, ohne Freude an der Freisetzung jugendlicher Aktivitäten kann eine Schule keine Elemente des "Schullebens" entwickeln. Und wo Schüler sich mit ihrer Schule identifizieren und eben diese Identifikation selbst als zentralen Faktor ihrer Einschätzung einer Schule als "guter Schule" bekunden, da hat in vielen, wenn nicht in allen Fällen die Erfahrung des Schullebens an der betreffenden Schule einen wesentlichen Anteil daran.


2.2.5 Qualität des Unterrichts

Zunächst ist noch einmal an einen Sachverhalt zu erinnern, der bereits an früherer Stelle benannt wurde: Es ist ein wichtiges Charakteristikum der in diesem Beitrag vor allem berücksichtigten Studien, daß es ihnen nicht, jedenfalls nicht primär um den vorgreifenden Entwurf einer "idealen Schule", deren Bedingungen größtenteils erst geschaffen werden müßten, geht, sondern um die Klärung von Qualitätsunterschieden, die sich in der heute vorfindlichen Schulwirklichkeit bzw. in ihrer Einschätzung durch die unmittelbar Betroffenen bereits zeigen. Es sollen also in der gegebenen Schulwirklichkeit Bedingungen und Möglichkeiten ihrer Verbesserung aufgewiesen werden.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es verständlich, daß die bisherige Forschung hinsichtlich des Unterrichts nur wenige Unterscheidungskriterien von "guten" und "schlechten" Schulen hervorhebt.
Bisher sind fünf Teilfaktoren identifiziert worden:

  1. Der erste Faktor ist die Schülerorientierung. Damit ist gemeint, daß Unterricht in guten Schulen eher auf Förderung als auf Auslese ausgerichtet ist, anders formuliert: auf die Bemühung, möglichst jedem Schüler entsprechend seinem jeweils erreichten Lernstand weiterführende Erfolgserfahrungen zu vermitteln. Dazu gehört ein weiterer, spezieller Faktor, nämlich

  2. das Prinzip häufiger Rückmeldung. In unserem Zusammenhang bedeutet das: In vielen guten Schulen erhält jeder Schüler deutlich häufiger als seine Altersgenossen in den "schlechten Schulen" Rückmeldungen über seine Lernprozesse, und zwar entweder im Sinne vorwiegend positiver, anerkennender Rückmeldungen oder solcher, die ihm zeigen, wie er Schwierigkeiten und Mängel "abarbeiten" kann.

  3. Ein dritter Teilfaktor betrifft den Lehrer, nämlich seinen Überblick über das Unterrichtsgeschehen. Lehrer, die "guten Unterricht" geben, zeigen durchschnittlich einen deutlich höheren Grad an Überblick über das, was sich in ihrem Unterricht abspielt, im Vergleich zu Lehrern, deren Unterricht von ihnen selbst und/oder von den betroffenen Schülern oder weiteren Bezugsgruppen wie etwa den Eltern als eher schlecht beurteilt wird. Man kann den gemeinten Sachverhalt auch so formulieren: Die besser unterrichtenden Lehrer nehmen differenzierter wahr, was sich in ihrem Unterricht abspielt, wo einzelne Schüler oder Schülergruppen abschalten, nicht mitkommen, sich "ausklinken", wo also individuell oder gruppenspezifisch besondere Zuwendung, Hilfen, ggf. kritische Hinweise, Appelle oder auch Mahnungen am Platze sind, oder aber, wo andere Schüler oder Schülergruppen unterfordert sind, wo also neue Impulse, Zusatzaufgaben o. ä. sinnvoll erscheinen.

  4. Ein vierter Teilfaktor ist - eng mit den eben genannten zusammenhängend - die Strukturierung des Unterrichts durch den Lehrer und, dadurch ermöglicht, der Durchblick auf seiten der Schüler. Hier könnte man nun, einmal mehr, einen ausführlichen didaktischen Exkurs einschalten. Es muß an dieser Stelle jedoch genügen, einen einfachen, jedoch sehr oft vernachlässigten, für guten Unterricht aber nachweislich mitbestimmenden Teilgesichtspunkt herauszuheben: Zur guten Unterrichtsführung gehört, daß der Lehrer oder - in zunehmendem Maße - auch die Schüler Zäsuren, Einschnitte im Unterrichtsverlauf setzen, um deutlich zu machen, wo man im Unterrichtsprozeß gerade steht: Einen Moment bitte, wir sollten uns noch einmal die Leitfragestellung unseres Gesprächs klarmachen! - Haben alle das Argument von Andrea verstanden? - Wer faßt noch einmal zusammen, bis zu welchem Punkt wir bisher gekommen sind? - Kannst Du, könnt Ihr erst noch einmal sagen, wo eigentlich Eure Schwierigkeit liegt?

  5. Als fünfter, in der Dimension "Qualität des Unterrichts" differenzierender Faktor läßt sich die unterschiedliche Nutzung der Unterrichtszeit identifizieren.

    Was ist gemeint? Nun, ein scheinbar banaler Sachverhalt: In guten Schulen wird deutlich mehr der für den Unterricht zur Verfügung stehenden Zeit wirklich unterrichtlich verwendet: Unterricht fängt seltener verspätet an als in "schlechten Schulen", wird seltener unterbrochen oder vorzeitig beendet, es fällt insgesamt weniger Unterrichtszeit aus, Schüler fehlen seltener, es wird weniger "gegammelt" und "getrödelt" bzw. Zeit durch die häufig wiederholte, aber dilettantische Inangriffnahme der immer gleichen organisatorischen Aufgaben vergeudet.

Der eben in seiner Bedeutung für "guten Unterricht" benannte Faktor der sinnvollen Nutzung der Zeit ist eine Konkretisierung eines generellen, sechsten Bedingungsfaktors "guter Schulen", dem ich mich im folgenden Unterabschnitt zuwende.


2.2.6. Lösungen organisatorischer Probleme auf der Ebene der ganzen Schule

In guten Schulen werden die organisatorischen Probleme generell zweckmäßiger, für alle Beteiligten befriedigender, mit geringerem Aufwand an psychischer Energie, mit einem geringeren Maß an Störungen und Krisen bewältigt als in eher schlecht beurteilten Schulen.


2.2.7. Die Funktion der Schulleiterin/des Schulleiters

Immer wieder zeigt sich in den einschlägigen Untersuchungen - auch das ist eine Bestätigung eines verbreiteten Erfahrungsteils - die hohe Bedeutung der Leiterin bzw. des Leiters einer Schule. Die Mehrzahl der Forschungsarbeiten ergibt nun, daß es vor allem sechs Orientierungen und Fähigkeiten von Schulleitern sind, die bisher als fördernde Teilfaktoren für die Entwicklung einer Schule zu einer "guten Schule" identifiziert werden können:

  1. die Fähigkeit, die Ziele einer Schule zu vertreten bzw. zur Konsensbildung des Kollegiums in dieser Hinsicht aktiv beizutragen sowie für die Einhaltung getroffener Absprachen und beschlossener Orientierungen zu sorgen;

  2. die Fähigkeit, die Arbeit an der Verwirklichung des pädagogischen Konzepts der betreffenden Schule in den Mittelpunkt des Schulalltags und der Lehrerkooperation zu rücken; das setzt voraus, daß die Schulleiterin/der Schulleiter

  3. in die Kommunikation und Kooperation des Kollegiums wirklich eingebunden ist bzw. bleibt und dafür Zeit "herausorganisiert"; damit ist

  4. als vierte wünschenswerte Fähigkeit einer Schulleiterin bzw. eines Schulleiters ihre bzw. seine organisatorische Kompetenz angesprochen, weiterhin aber

  5. die Fähigkeit und Bereitschaft, Kolleginnen und Kollegen zu beraten, ihnen Freiräume für eigene pädagogische Initiativen zu öffnen und diese Freiräume gegen Einschränkungsversuche von außen soweit wie möglich abzuschirmen, schließlich

  6. die Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Schule in ihrem kommunalen Umfeld zu verankern, sie nach außen zu öffnen, Verbindung zu anderen Schulen herzustellen und die Zusammenarbeit mit den Eltern zu fördern, jedoch ohne die Schule zur bloßen Erfüllungsinstanz von Elternwünschen und -meinungen zu machen.

2.2.8. Kooperation mit Eltern

Die meisten Untersuchungen zeigen, daß im Urteil von Lehrern, Eltern und Schülern, man halte eine Schule eher für eine gute oder eher für eine schlechte Schule, die Einschätzung der Kooperation von Schule und Elternhaus eine wichtige Rolle spielt. Die Skala der Intensitätsgrade reicht hier von guter wechselseitiger Information zwischen Eltern und Lehrern bis zur aktiven Mitbestimmung und Mitwirkung von Eltern an der Gestaltung einer Schule.


3. Zielperspektiven einer humanen und demokratischen Schule

Bereits an früherer Stelle habe ich als Charakteristikum und Stärke der meisten bisherigen Untersuchungen zur "guten Schule" hervorgehoben, daß sie in der gegebenen Wirklichkeit von Normalschulen Unterschiede der pädagogischen Qualität ausfindig machen und damit Möglichkeiten benennen, an denen Bemühungen zur Verbesserung ansetzen können. Zweifellos wäre bereits viel gewonnen, wenn solche Impulse in der Breite der Schulpraxis systematisch aufgegriffen würden.

Gleichwohl muß man auch die Grenzen dieses Ansatzes sehen: Selbst in den "guten" Normalschulen konnten bislang nur Teilelemente jener wohlbegründeten pädagogischen Zielvorstellungen verwirklicht werden, die im Zuge der Bildungsreformbewegung vor und nach 1970 und in der seither erfolgten kritischen Klärung und Weiterentwicklung herausgearbeitet und in einigen Versuchs- und Modellschulen mindestens ansatzweise erprobt worden sind. So wichtig jene Gütekriterien also auch sind, die man an "guten" Normalschulen heute schon sozusagen empirisch ablesen kann, sie müssen m. E. doch auch auf weiterreichende, theoretisch begründete Zukunftsperspektiven unserer Schulen und der Entwicklung des gesamten Schulwesens bezogen werden, vor allem auf inhaltliche Kriterien. In diesem Sinne formuliere ich im folgenden neun Thesen zur Humanisierung und Demokratisierung der Schule.

  1. Eine demokratische und humane Schule, die ihrer Verantwortung gegenüber der nachwachsenden Generation gerecht wurden kann, ist eine Einrichtung, die bei Lehrern und Schülern das Bewußtsein der Spannung und der Diskrepanzen zwischen Verfassungstext und Verfassungsrealität, zwischen dem programmatischen Selbstverständnis der jeweiligen Gesellschaft und ihrer Wirklichkeit weckt und lebendig hält. Die Lehrer einer solchen Schule, die in der Lehrerbildung tätigen Personen, eine progressive, sich für die Gestaltung der Praxis mitverantwortlich wissende Erziehungswissenschaft und - im Optimalfalle - eine reformerisch eingestellte Schuladministration müssen sich daher ständig gegen Versuche zur Wehr setzen, solche Diskrepanzen und Widersprüche zwischen Programm und Wirklichkeit zu vergessen oder zu vertuschen. -

  2. Eine demokratische und humane Schule hat den Auftrag und muß daher entsprechende Freiräume erhalten, ihren Schülern - in einem gestuften Gang wachsender Anforderungen - Interessenunterschiede, Auffassungsdiskrepanzen und Konflikte in der Gesellschaft bewußt zu machen und ihnen Grundlagen für die Entwicklung der Fähigkeit zu vermitteln, allmählich ihren eigenen Standort innerhalb verschiedener und z. T. kontroverser Positionen und Sinngebungen wirtschaftlicher, sozialer, politischer, kultureller, religiöser Art zu bestimmen. Eine solche Schule ist also eine Institution, die auf Kontroversen und Konflikte nicht nur notgedrungen reagiert, sondern aus pädagogischer Verantwortung auf solche Spannungen aufmerksam macht und sich mit ihnen offen auseinandersetzt.

  3. Eine solche Schule leitet junge Menschen um ihrer Zukunft willen auch dazu an, Alternativen zum Bestehenden zu denken, sich also nicht auf das Vorfindliche festschreiben zu lassen. Sie regt dazu an, produktive Fantasie zu entwickeln, d. h. kognitive Fantasie hinsichtlich der Fragen, wie man die Diskrepanz zwischen dem programmatischen Selbstverständnis der Gesellschaft und ihrer Wirklichkeit in Richtung auf mehr Gerechtigkeit, stärkere Annäherung an das Prinzip der "Chancengleichheit", mehr Humanität, mehr zwischenmenschliche Solidarität, mehr Friedfertigkeit, mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten für alle, mehr Lebensqualität verringern kann. Dabei soll sie mit ihren Schülern nicht nur die großen Fernziele ins Auge fassen, sondern jeweils zugleich fragen: Was können wir hier und heute, unter unseren jeweiligen Bedingungen dazu tun, um auf dem langen Weg zu den großen Zielen ein kleines Stück voranzukommen? Schule soll also auch helfen, bei den Schülerinnen und Schülern die Geduld und die Freude an den kleinen Schritten im Blick auf die großen Perspektiven zu entwickeln.

  4. Eine demokratische und humane Schule leitet nicht nur dazu an, neue politische, ökonomische, soziale, berufliche, lebensweltliche Konzepte zu verstehen und ggf. kreativ in der Vorstellung zu entwerfen. Sie muß sich auch darum bemühen, den Schülern und den Lehrern in der Schule selbst neue, positive Erfahrungen zu ermöglichen, gleichsam als zu erprobende Modelle, wie sich die Gesellschaft im Sinne ihrer eigenen Programmatik weiterentwickeln könnte. In der Schule müßten also z. B. Formen angstfreien Lernens, Modelle solidarischer Hilfe im Lernprozeß, konkurrenzfreier Kooperation, Formen einer unterstützenden, nicht auslesenden Leistungsbeurteilung und Rückmeldung, Modelle rationaler Konfliktlösung, gelingender Mitbestimmung (einschließlich kollegialer Schulleitung) erprobt werden.

  5. Die mir notwendig erscheinende Schule muß eine polare Spannung für Lehr- und Lernprozesse fruchtbar zu machen versuchen: Sie muß der außerschulischen Wirklichkeit nahebleiben - das ist der eine Pol. Sie muß zugleich lehren, zu jener außerschulischen Wirklichkeit immer wieder kritische Distanz zu gewinnen; das ist der andere Pol. Das bedeutet auf dem Pol "Bezug zur außerschulischen Wirklichkeit" dreierlei: Schule muß zum einen die außerschulische Erfahrungswirklichkeit der jungen Menschen und ihre im außerschulischen Raum wirksamen Interessen in der Schule ernst nehmen, sie zur Sprache kommen lassen; sie muß zum anderen das außerschulische Leben gezielt in die Schule hereinholen - in der Gestalt von Experten, Eltern, Dokumenten jener außerschulischen Erfahrungsrealität usw.; und sie muß zum dritten die Realität immer wieder außerhalb der Schule aufsuchen, in der Form von Befragungen, Besichtigungen, Erkundungen, Praktika usw. - Auf der anderen Seite gilt: Schule muß - polar auf die eben betonte Erfahrungs- und Wirklichkeitsnähe bezogen - immer wieder kritischen Abstand zur außerschulischen Erfahrung gewinnen, um sie analysieren, ihre Hintergründe erfragen und erkunden zu können und sie auf ihre besseren Möglichkeiten hin zu prüfen und fantasievoll weiterzudenken.

  6. Demokratisch und human ist eine Schule, die die Tatsache, daß sie Schüler mit sehr unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen aufnimmt - und das bedeutet: mit sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen für das schulische Lernen - nicht durch formale Gleichbehandlung ignoriert, sondern darauf bewußt und gezielt antwortet, nämlich einerseits individualisierend, andererseits kompensatorisch. Es ist eine Schule, die den Mut hat und schrittweise mehr Möglichkeiten entwickelt, gerade den schwächeren, benachteiligten, schwierigen Schülern besonders zu helfen, und zwar so, daß die Schule im ganzen und nicht zuletzt die Schüler, die günstigere Ausgangsbedingungen mitbringen, sich eine solche Zielsetzung zu eigen machen und aktiv an ihr mitwirken im Sinne praktischer Solidarität - z. B. in der Form intensiver Kleingruppenarbeit, einer Kultur des Helfens und der Patenschaften zwischen Schülern, durch innere Differenzierung des Unterrichts, durch gezielte Anregungs-. und Förderungsangebote. Gerade dadurch würde eine solche Schule anspruchsvoller als die herkömmliche Schule werden; sie würde auch an die leistungsfähigeren Schüler höhere Ansprüche stellen, als das in der bisherigen, durchschnittlichen Schule der Fall ist. Am Beispiel verdeutlicht: Anderen im Lernprozeß so helfen zu können, daß diejenigen, denen geholfen wird, verstehend lernen können, setzt nicht nur Einfühlungsgabe und Hilfsbereitschaft voraus, sondern erfordert zugleich eine überdurchschnittlich hohe kognitive Leistung der Helfenden.

  7. Human und demokratisch ist eine Schule, die den jungen Menschen als ganzheitliches Wesen ernst nimmt, ihn in allen seinen Lebensdimensionen und Möglichkeiten anzusprechen und zu fördern versucht: in seinen kognitiven - und d. h. vor allem auch : reflexiven - Fähigkeiten, darüber hinaus seinen emotionalen, motorischen, sozialen und praktischen Fähigkeiten. Es ist eine Schule, die diese verschiedenen Aspekte durch ein reiches Angebot von unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Lernsituationen anspricht, und zwar so, daß sie dabei eine grundlegende Polarität berücksichtigt: die fruchtbare Wechselbeziehung zwischen unmittelbarer Beobachtung und Erfahrung, praktischem Tun, Experimentieren, Erprobungen, Praktika auf der einen Seite und denkender Verarbeitung, sprachlich-begrifflicher Reflexion und Abstraktion auf der anderen Seite - bis hin zur Reflexion über Sinn- und Grenzfragen der individuellen und der gesellschaftlichen Existenz des Menschen.

  8. Demokratisch und human ist eine Schule, deren unterrichtlichen Kern entdeckendes und verstehendes, exemplarisches Lernen bildet; und zwar ein Lernen, das im engeren Erfahrungskreis der Schüler jene Probleme, Konflikte, Ansätze aufspürt, von denen aus sich schrittweise tiefere Einblicke in die großen nationalen und internationalen Brennpunkte unserer gegenwärtigen und vermutlich zukünftigen Existenz eröffnen können: Friedenssicherung und Kriegsgefahr, das Nord-Süd- Gefälle und die Überwindung von Hunger und Elend in den Ländern der sogenannten Dritten Welt; Umweltzerstörung und Umweltschutz angesichts eines weltweiten Technisierungs- und Industrialisierungsprozesses; Weltenergieversorgung und sogenannte Alternativenergien; Fundamentaldemokratisierung in allen Gesellschaften; Emanzipation der Frau; die Vorurteilsproblematik und die gesellschaftlichen Minderheiten und Randgruppen; die Beziehung zwischen den Generationen u. ä. [3]

  9. Demokratisch und human ist eine Schule, die sich selbst und die ihren Unterricht immer wieder mit den Schülern zum Thema, zum Gegenstand der Analyse, der Kritik, der Planung und Erprobung von Verbesserungsmöglichkeiten macht. Es ist eine Schule permanenter Reform, in der es gerade dieser ständig gewährleisteten Offenheit wegen nicht hektisch-aktivistisch zugeht, sondern - bei allem Aktiv-Sein - besonnen; in der stabile Formen des Schulalltags, der "Lernkultur", der sozialen Beziehungen, des Schullebens und der Außenkontakte aufgebaut und gleichwohl gegen Erstarrung und Ritualisierung abgesichert werden, weil sie der Kritik und der Reflexion zugänglich bleiben. Eine solche Schule ist eine selbstreflexive Schule.

4. Schlußbemerkung

Mir ist klar, daß solche Thesen überaus anspruchsvoll, ja utopisch klingen. Daß die darin steckenden Forderungen in keiner Schule jemals optimal erreicht werden können, liegt auf der Hand. Ich meine aber, daß es sich um begründete, und zwar international gültige Orientierungsmaßstäbe handelt. Es sind die großen Ziele, auf die hin im Alltag der Schulen viele kleine Schritte versucht werden müssen.


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